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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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nickte.
    »Aufgetaucht aus dem Limbus«, sagte er.
    »Woher hast du das so plötzlich?«
    Max erzählte, ohne auf die näheren Umstände einzugehen, von seinem Besuch bei seiner Pflegemutter. Onno beugte sich vor und betrachtete das Paar.
    »Du hast die obere Hälfte deines Gesichtes von deinem Vater und die untere von deiner Mutter.«
    »Erinnerst du dich, daß du schon einmal so etwas über mein Gesicht gesagt hast, an dem Tag, an dem wir uns begegnet sind?«
    »Nein«, sagte Onno, »aber da habe ich offenbar den Nagel auf den Kopf getroffen.«
    »Selbstredend.«
    »Kommt ihr?«
    Sophia saß unter dem Sonnenschirm auf dem Balkon, über den Max mehrere Säcke neuen Kies gestreut hatte, und gab Quinten die Flasche. Sowohl Max als auch Onno bemerkten die Einheit, die sie mit dem Kind bildete, als ob sie tatsächlich die Mutter wäre: Zwei Väter sahen eine vollkommen glückliche Frau, die nie eine Tochter gehabt zu haben schien.
    Auch Kern und seine Selma kamen.
    »Max hat mir schon viel von Ihnen erzählt«, sagte Onno, nachdem er sich mit knallenden Hacken vorgestellt hatte, vielleicht als Kommentar zu Kerns nackten Füßen.
    Kern machte den Eindruck, als habe er es nicht gehört, und zeigte statt dessen mit einer vom Ton und Steinstaub grauen Hand auf Quinten, der noch immer trinkend auf Sophias Schoß lag und mit seinen blaublauen Augen auf die orangenen Streifen des Sonnenschirms starrte.
    »Hat man je so ein Wesen gesehen? Das ist doch nicht möglich!«
    »Wer kann, der kann«, sagte Onno stolz. »Es gibt Künstler, bei denen Schönheit im unermüdlichen Kampf zwischen Geist und Materie entsteht, bei Ihnen zum Beispiel, aber ich mache das im wollüstigen Handumdrehen des Fleisches.« Noch während er das sagte, spürte er, wie ihm plötzlich innerlich kalt wurde, als dringe Adas Abwesenheit auf dem Balkon in seinen Körper ein. Kern war kurz darauf verschwunden, vielleicht weil er Quintens Anblick nicht ertragen konnte. In einem Kühler stand eine Flasche Champagner, und als Max mit ballistischer Befriedigung den Korken seine Parabel zum Schloßgraben hatte beschreiben lassen – die Enten flatterten, halb auf dem Wasser laufend, darauf zu, um dann mit wackelnden Schwänzen ihre Aufmerksamkeit wieder wichtigeren Dingen zuzuwenden –, erschien die Familie Proctor. Clara verhielt sich, wie sich eine Frau, die ein Baby zum ersten Mal sieht, eben verhält, als jedoch der trübsinnige Übersetzer Quinten sah, veränderte sich etwas in seiner Miene: sie hellte sich auf, als ob für einen Augenblick ein Schleier gelüftet würde. Noch wunderlicher war die Wirkung des Kindes auf Arendje. Während Max die Gläser füllte, hielt er ein wachsames Auge auf den kleinen Fiesling, um sofort eingreifen zu können, falls dieser seine Faust auf Quintens Nase pflanzen wollte. Doch der Junge umarmte ihn, küßte ihn auf die Stirn und sagte: »Der riecht aber gut.«
    Arendje gezähmt! Proctor sah von Quinten zu Onno und von Onno zu Quinten und sagte dann etwas, was Max’ Herz einen Sprung machen ließ:
    »Er sieht Ihnen ähnlich. Er hat Ihren Mund.«
    Ein größeres Geschenk hätte er Max nicht machen können.
    Ja, vielleicht stimmte es, vielleicht hatte Quinten dieselben schmalen, klassisch geschwungenen Lippen. Es war, als würde mit dieser Bemerkung der letzte Rest Zweifel weggespült.
    Max schleppte ein paar Stühle auf den Balkon, und die Gesellschaft teilte sich in Männer und Frauen, und Quinten war der Mittelpunkt der Frauen. Onno erzählte Proctor, daß seine Frau Cellistin gewesen sei. Da er annahm, daß Max ihn über den Unfall in Kenntnis gesetzt hatte, sagte er:
    »Ihr zu Ehren wollte ich meinen Sohn zunächst Octave nennen, nach dem einfachsten und vollkommensten Intervall, auf dem alle Musik aufgebaut ist. Haben Sie die pythagoreischen Geheimnisse dieses einfachen Verhältnisses von eins zu zwei schon ergründet?«
    Max hatte Onno von Proctors Verschlossenheit erzählt und sah, wie Onno nach einer Möglichkeit suchte, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Doch Proctor machte nur eine unbestimmte Geste.
    »Ich habe keine Ahnung von Musik.«
    »Wer hat das schon? Die Musik läßt ohnehin alle Gesetzmäßigkeiten hinter sich. Aber beim Namen Octave tauchte ein Typ Mensch vor meinem geistigen Auge auf, den ich mir ungern als meinen Sohn vorstelle. Es war eher ein eleganter, etwas verweichlichter Philosoph auf stelzenähnlichen Reiherbeinen, mit einer Blume im Knopfloch, und nicht der robuste Tatmensch, der ich bin und der

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