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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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alles, was er selbst war, vereint wie im Brennpunkt einer Linse?
    Ohne Sophia anzusehen, stieg er wieder ein und fuhr langsam zu einem niedrigen, neu errichteten Dienstgebäude – und konnte plötzlich nicht mehr aufh ören zu reden. Aufgeregt drehte er sich immer wieder halb zu ihr um und erzählte, daß das Lager 1939 von der niederländischen Regierung für aus Deutschland geflohene Juden errichtet worden sei, das erste Judenlager außerhalb Deutschlands, daß aber die Kosten auf die jüdische Gemeinschaft in den Niederlanden abgewälzt worden seien. Als die Deutschen einmarschierten, hatten sie die Flüchtlinge also ordentlich zusammen, später transportierten sie von hier aus mehr als hunderttausend niederländische Juden nach Polen – im Verhältnis sogar mehr als aus Deutschland selbst. Nach dem Krieg wurden in dem Lager niederländische Faschisten eingesperrt, von denen es in Drenthe jede Menge gab, eine Zeitlang diente es als Militärkaserne, dann wurden Rücksiedler aus Indonesien darin untergebracht und schließlich die Molukker, die nun gegen ihren Willen und regelmäßig mit Hilfe der Polizei in mehr oder weniger normale Wohnviertel gezwungen wurden. Um die Rückkehr in das Lager zu verhindern, ließ man alles verkommen. Mit dem Bau der Sternwarte, hofft e die Regierung, würde Westerbork seinen schlechten Ruf allmählich verlieren. Als er das einmal Onno erzählte, vermutete der seinen ältesten Bruder hinter diesem Kalkül, den Kommissar der Königin in Drenthe.
    »Stell dir vor, die Polen würden in Auschwitz ein Konservatorium gründen, damit ›Auschwitz‹ weniger unangenehm klingt! Man müßte sich doch in die Hose machen vor Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre. Manchmal fragt man sich schon, ob die Menschen eigentlich wissen, in welcher Welt sie leben. Wußtest du zum Beispiel«, fragte er den Ingenieur, »daß die Gemeinde Westerbork den Bauern und Sportvereinen in der Umgebung schon eine ganze Reihe dieser Baracken verkauft hat? Überall hier in Drenthe ziehen sich die kleinen Fußballer nun in diesen Baracken der Angst um. Geschäft ist Geschäft! Aber die Bruchbuden sind jüdisches Eigentum, und ich habe nirgends gelesen, daß die Gemeinde die Einkünfte an die jüdische Gemeinschaft überwiesen hätte. Bis zum heutigen Tage werden sie bestohlen!«
    Völlig außer sich schlug er auf das Lenkrad, woraufh in der Ingenieur den Kopf umwandte und einen kurzen Blick mit Sophia wechselte.
    Im Kontrollgebäude auf der anderen Seite der Teleskopreihe war es warm und duftete nach frischem Kaffee. Mit einem überraschten Lachen erschien der Direktor der Anlage, ein technischer Ingenieur, der früher bei einer Ölgesellschaft gearbeitet hatte.
    »Und wir dachten schon, daß wir hier nie einen Astronom zu sehen bekommen.« Mit seinen dunklen, braunen Augen sah er in die von Quinten. »Sieh mal an, die Tochter des Hauses ist auch mitgekommen.«
    Es dauerte eine Weile, bis Max ihm beigebracht hatte, daß Quinten Quist keine Tochter sei, sondern ein Sohn, und zwar nicht seiner, sondern der eines Freundes, und Sophia Brons weder seine Frau noch die Mutter des Kindes, sondern die Großmutter.
    Der Direktor wehrte ab, für seinen Teil sei das schon in Ordnung, und führte sie in den Computerraum. Sophia erlöste Quinten von seiner Jacke und Mütze und gab ihm eine kleine Puppe, die er überheblich ignorierte. Max schüttelte den Technikern, die ringsum an den Bildschirmen saßen und die er von Dwingeloo kannte, die Hände, ließ sich sein Büro zeigen und ging mit dem Direktor durch den Empfangsraum, in dem Ventilatoren isoliert in einem Faradayschen Käfig summten und dröhnten. Als er wieder im zentralen Terminal war, stand er eine Weile vor dem großen, halbrunden Fenster, das den Blick auf die Spiegel und Baracken freigab.
    Als ihm einfiel, daß ja auch Sophia da war, drehte er sich zu ihr um, zeigte auf die Teleskope und fragte:
    »Wissen Sie, wie das funktioniert?«
    »Davon verstehe ich überhaupt nichts.«
    »Es ist ganz einfach.«
    Diese Reihe von Reflektoren, erzählte er, sei exakt von West nach Ost ausgerichtet, in einer Geraden und in einem Abstand von jeweils einhundertvierundvierzig Metern, der bis auf einen halben Millimeter genau sei. Aber nicht nur das, es sei zudem eine wirklich gerade Linie: über den Abstand von anderthalb Kilometern sei auch die Krümmung der Erdoberfläche beseitigt worden. Das müsse man sich einmal vorstellen! Und diese Genauigkeit sei nötig, weil die zwölf

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