Die Entdeckung des Himmels
ein dummer August – was im übrigen implizit beweist, daß mein Vater kein großer Mann ist. Nun gut, vielleicht sollten wir froh sein, daß der Gnädige sich zumindest dazu herabläßt zu krabbeln.«
»Wir haben aber manchmal durchaus den Eindruck, daß er uns versteht.«
»Das ist zu hoffen. Wie geht es meiner Frau Schwiegermutter?«
»Alles in Ordnung. Komm bald mal wieder vorbei.«
Onno seufzte und legte auf, behielt jedoch den Hörer in der Hand. Seit Quintens erstem Geburtstag vor zwei Monaten war er nicht mehr in Drenthe gewesen, und es waren damals so viele Quists und Schloßbewohner und sogar die Mutter seiner Schwiegermutter aufgetaucht, daß er kaum Gelegenheit gehabt hatte, sich mit Quinten zu beschäftigen. Onno hatte diesen dreißigsten Mai hauptsächlich damit zugebracht, seine Verwandtschaft zu beschwichtigen, die zum ersten Mal zu sehen bekam, wie dort ein Quist von seiner Großmutter und seines Vaters bestem Freund großgezogen wurde. Er hatte noch immer den Hörer in der Hand und sah auf die Uhr. Es war elf. Die fünf Stunden, die ihn noch von Max’ Mondereignis trennten, kamen ihm unsäglich lang vor. Max’ Stimme zu hören hatte ihm gutgetan und ihn plötzlich aus dem Trott seiner Arbeit gerissen. Er konnte natürlich einfach zu Bett gehen, und Max würde es nie erfahren, aber gab es denn niemanden, der ihm jetzt Gesellschaft leisten konnte?
Im selben Augenblick wußte er, wen er anrufen würde – aber dieser Einfall versetzte ihm einen derartigen Schock, daß er sich einige Sekunden lang davon erholen mußte. Die Nummer wußte er noch auswendig.
»Helga?«
»Ja, mit wem spreche ich?«
»Es ist doch nicht zu fassen. Erkennst du nicht einmal mehr meine Stimme?«
»Onno! So eine Überraschung! Wie geht’s dir?«
»Nun, ich nehme an, daß du alles in etwa mitbekommen hast. Es ist viel passiert.«
»Schrecklich. Ich wollte dir noch schreiben, aber ich wußte nicht recht, welchen Ton ich anschlagen sollte. Hat sich etwas an ihrem Zustand geändert?«
»Nein.«
»Und dein Sohn? Wie alt ist er jetzt?«
»Gut ein Jahr.«
»Lebt er bei dir? Wie machst du das? Du bist doch neuerdings auch Kulturreferent?«
»Ich lebe allein. Er wächst bei meiner Schwiegermutter und Max auf, du weißt schon, bei dem, nach dem du so verrückt warst. Sie wohnen in Drenthe.«
»Ist das nicht ein bißchen merkwürdig?«
»Ein bißchen schon, ja, aber es ist die ideale Lösung. Max hat dort natürlich schon längst wieder die eine oder andere Freundin, aber über solche Dinge reden wir nicht mehr. Und du? Was treibst du?«
»In diesem Moment? Ich lese.«
»Was denn?«
»Du wirst lachen: den Ratsbericht in der Zeitung.«
»Du liest Zeitung? Hast du denn nicht gelesen, was in wenigen Stunden passieren wird?«
»Was denn?«
»Heute nacht wird ein Mensch den Mond betreten.«
»Na und? Dann soll er mal nicht ausrutschen. Ist das der Grund, weshalb du anrufst? Seit wann interessierst du dich für so etwas?«
»Seit fünf Minuten. Max rief an und sagte, daß ich mir das ansehen soll.«
»Und das tust du dann auch.«
»Der gereizte Ton in deiner Stimme entgeht mir keineswegs, liebe Helga. Mir können die Himmelskörper genauso gestohlen bleiben wie dir, mitsamt unserer Erde; aber ich bin froh, daß er angerufen hat, denn dadurch kann ich dich jetzt bitten, mich zu empfangen, so daß wir uns das zusammen anschauen können.«
»Ich weiß nicht, ob ich das möchte, Onno.«
»Ich bin ja wohl derjenige, der bestimmt, was du möchtest!«
»Schon eine ganze Weile nicht mehr. Woher willst du wissen, daß ich nicht schon seit Jahr und Tag einen Freund habe, der hier nun faul auf der Couch liegt?«
»Weil ich weiß, daß kein Gras mehr wächst, wo ich einmal gestanden habe.«
»Onno, hast du dich wirklich kein bißchen verändert?«
»In einer Viertelstunde klingle ich bei dir, und wenn du nicht aufmachst, mache ich morgen das Kunsthistorische Institut zu. First thing in the morning. «
»Du willst doch nur deine schmutzige Wäsche vorbeibringen.«
»Liebe Helga, weißt du, wie die Habsburger bestattet wurden?«
»Wie bitte? Die wer bestattet?«
»Die Habsburger. Die österreichisch-ungarischen Monarchen.«
»Wie die bestattet wurden?«
»Ja, das wirst du doch wissen.«
»Was meinst du denn, in Gottes Namen?«
»Hör zu. Der Trauerzug mit dem Sarg kam zur Kapuzinergruft in Wien, und dort schlug dann der Haushofmeister oder so jemand dreimal mit dem Stab an die Tür. Drinnen hörte man die bebende
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