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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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den seine Mutter im Krieg auf der linken Brust hatte tragen müssen. Einen Stern! Sterne! All die Zehntausende hier hatten Sterne getragen, mit Sternen auf der Brust waren sie in die Waggons gedrängt worden, auf dem Weg von dem kleinen Trapez zum großen Rechteck. Aus den Zeitungen erinnerte er sich an Diskussionen über die Frage, ob in Westerbork ein Mahnmal für die Deportierten errichtet werden sollte; die Überlebenden waren dagegen gewesen, man solle das alles endlich einmal vergessen. Aber da stand es doch! Was war das Synthese-Radioteleskop schließlich anderes als ein Mahnmal von anderthalb Kilometern Durchmesser!

37
Expeditionen
    Während auf Groot Rechteren und in Dwingeloo das Leben in ländlicher und astronomischer Ruhe seinen Lauf nahm, machte Onno in Amsterdam eine Blitzkarriere. Manchmal hatte er das Gefühl, daß die Art, in der das geschah, nicht nur mit seinen Fähigkeiten zu tun hatte, sondern auch mit dem Schicksal, das ihn ereilt hatte: als ob seine politischen Freunde fänden, ihm stünde das nach dem Unglück seiner Frau zu, zumindest könnten sie ihm nicht, ohne unanständig zu werden, allzusehr in die Parade fahren. Anfang 1969 war er in den Gemeinderat gewählt worden, und kurz darauf wurde er Referent für Bildung, Kunst und Wissenschaft.
    »Während meiner Regentschaft «, hatte er dem Bürgermeister nach seiner Ernennung beim Dinner zugeflüstert, »wird die Schulausbildung ausschließlich auf die Anzucht willenloser Jasager ausgerichtet sein. Platon gedenkend, werde ich die Dichter erbarmungslos über die Klinge springen lassen, die Wissenschaft völlig gleichschalten und in den Dienst meiner persönlichen Ambitionen stellen. Ich werde mich so verhaßt machen wie nie ein Amsterdamer Referent zuvor. Während Ihr Standbild täglich mit frischen Blumen versehen wird, wird mein Name noch in Jahrhunderten ausschließlich mit tiefstem Abscheu ausgesprochen werden.«
    Woraufh in der Bürgermeister seine Hand von der Ohrmuschel genommen und gesagt hatte: »Ja, ja, Onno, aber jetzt mach mal halblang.«
    Viele machten sich Sorgen, daß Onno der Partei mit seinem großen Mundwerk schaden könnte, aber es hielt sich in Grenzen: Innerhalb weniger Wochen hatte er sich eingearbeitet und schlug im Ratssaal einen anderen Ton an, er sprach ruhig und besonnen und wußte, daß dies in den Niederlanden das einzig Wirksame war. Ein neues Leben war für ihn angebrochen. Rektoren der Universität baten um Anhörung und mußten im Vorzimmer warten; der Vorsitzende des Kunstausschusses wurde bestellt; in Den Haag setzte er sich im Ministerium für die Amsterdamer Interessen ein, engagierte sich bei seinen Parteigenossen im Parlament, traf Entscheidungen, vermittelte, griff ein, entließ, ernannte, ließ sich auf einen Streit mit den Studenten ein. Plötzlich hatte er Macht, eine Sekretärin, Beamte, die nach seiner Pfeife tanzten, und ein Auto mit Fahrer, der ihn abends vom Rathaus zur Kerkstraat brachte.
    Aber zu Hause war dann niemand mehr. Wenn er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurde er von einer Stille empfangen, die von zwei unterschiedlichen Kästen auszugehen schien: von Adas Cellokasten in seinem Arbeitszimmer und der chinesischen Kampferkiste im Schlafzimmer, in der er ihre Kleider aufb ewahrte. Doch der Gedanke an sie und Quinten wurde schnell unter den Papieren erstickt, die aus seiner überdimensionalen Aktentasche zum Vorschein kamen – vielleicht, weil er wußte, daß es Quinten an nichts fehlte und Ada in einem Pflegeheim in Emmen gut aufgehoben war, wo er sie im übrigen bis jetzt gerade zweimal besucht hatte. Doch gemessen an seinem Interesse für die kryptischen Zeichen auf einer Tafel im Museum von Heraklion, war das für die Akten minimal, er hätte ebensogut auch irgendein anderes Ressort verwalten können, doch irgendwann hatte er sich damit abgefunden, daß sein Leben offenbar bestimmt wurde von brillanten Anfängen, die plötzlich abbrachen – im Familienleben ebenso wie in der Linguistik. Er kannte Leute, für die das Amt eines Amsterdamer Referenten die absolute Lebenserfüllung wäre, er selbst jedoch war nur zufrieden damit, weil er so wenigstens etwas zu tun hatte. Er hatte beschlossen, das Beste daraus zu machen, die Illusion, die Niederlande oder auch nur Amsterdam verändern zu können, hatte er schon nach wenigen Monaten aufgegeben, und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, hielt er das eigentlich auch nicht für erforderlich. Wo in der Welt lief es denn besser

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