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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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etwas zwischen ihm und Sophia gewesen war, hatte er es ihr nach einigen Monaten in der Küche beiläufig erzählt:
    »Übrigens, ich muß dir noch etwas sagen, Sophia. Ich habe neuerdings eine Freundin.«
    »Wie schön für dich«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Ich habe schon gerochen, daß du hin und wieder eine andere Seife benutzt.«
    »Anständige Frau, Tochter eines Pfarrers aus Enter«, fügte er noch hinzu, aber sie erkundigte sich nicht weiter, und ebensowenig ließ sie erkennen, daß sie vielleicht ihre Bekanntschaft machen wollte.
    Danach wurde nicht mehr darüber gesprochen. Es war vor allem Quinten, der ihn davon abhielt, seine kräftige, anhängliche Tsjallingtsje zu präsentieren. Groot Rechteren war in erster Linie Quintens Domäne, in die er nicht mit seinen privaten Frivolitäten eindringen wollte; außerdem fürchtete er sich ein wenig vor dem Blick, den er auf ihr ruhen lassen würde.
    Auch mit Onno sprach er nicht über sie.
    Je mehr Quinten heranwuchs, desto unbegreiflicher wurde er. Er hatte keine Freunde, saß meistens in seinem Zimmer und las oder streifte durch die Umgebung, manchmal mit seiner Blockflöte. Wenn Max und Sophia auf dem Balkon saßen, hörten sie seine pastoralen Töne manchmal aus dem Wald von seinem Lieblingsplatz am Weiher herüberwehen. Diese Töne, vermischt mit dem Gesang unsichtbarer Vögel, rührten Max mehr als die ergreifendste Darbietung der allerschönsten Symphonie durch das beste Orchester der Welt, und er merkte, daß auch Sophia dann an Ada dachte, allerdings sprach es keiner von ihnen aus.
    Als Quinten zehn Jahre alt war, 1978, sprach Frau Trip Sophia eines Nachmittags auf der äußeren Brücke an.
    »Hat Quinten es Ihnen schon erzählt?«
    »Erzählt? Was meinen Sie?«
    Am Tag zuvor war sie auf Klein Rechteren mit der Baronin im Rosengarten spazierengegangen. Wie in letzter Zeit öfter, war Quinten bei Rutger. Die Baronin mochte in der Regel keine unangekündigten Besuche, aber da Rutger sichtlich auflebte, wenn Quinten kam, war er immer willkommen. Plötzlich hatten sie ein herzzerreißendes Jammern von der Terrasse her gehört. Sie liefen zurück zum Haus und sahen Rutger weinend am Boden sitzen, die Arme um Quintens Knie – um die seines Henkers, wie sich später herausstellte. Mit einer Schere war Quinten dabei, Rutgers gestrickte Schnur in Stücke zu schneiden, das schönste, das er besaß, seine unendliche Kreation, an der er seit Jahr und Tag arbeitete. Auch seine Mutter schnitt regelmäßig ein Stück ab, aber natürlich nie in seiner Gegenwart. Die beiden Damen waren zu verdutzt gewesen, um einzugreifen, zudem hatten sie das Gefühl, daß sich da etwas abspielte, das jetzt nicht mehr unterbrochen werden durfte. Obendrein waren sie von der merkwürdigen Schönheit der Szene wie gelähmt: dieser wunderschöne Junge mit dem mißgestalteten, zwanzig Jahre älteren Schwachsinnigen zu seinen Füßen, während im Gemüsegarten ein Pfau mit einem Fächer von fünfzig Augen zusah!
    »Ja, beruhige dich«, sagte Quinten, während er die Kordel weiter in einen Meter lange Stücke schnitt. »Wart ab. Wir werden einen ganz großen Vorhang machen. Das wolltest du doch, einen ganz großen Vorhang?«
    »Ja«, schluchzte Rutger. »Nicht machen, nicht schneiden-«
    »Aber wenn du einen ganz großen Vorhang machen willst, dann mußt du das auch tun. Dann mußt du nicht ewig nur eine lange Kordel machen. Dann mußt du auch weben. Schau, so.«
    Er hatte sich neben ihn auf den Boden gesetzt, eine große Nadel aus seiner Tasche geholt und ein festes, grobmaschiges, einen Quadratmeter großes Stramin zur Hand genommen, das er im Stoffgeschäft im Dorf von seinem Taschengeld gekauft hatte. Während er die Kordel hindurchfädelte und dabei immer wieder sagte, was er tat, hörte Rutger auf zu weinen und sah mit angehaltenem Atem und noch schluchzend auf das, was da vor seinen Augen geschah.
    »Und jetzt du«, sagte Quinten und gab ihm die Nadel. »Und wenn das hier voll ist, dann kaufen wir ein neues Stramin.
    Und wenn das auch voll ist, dann nähen wir es an das da dran, und kaufen wieder ein neues – so lange«, sagte er mit einer ausholenden Geste, »bis der Vorhang so groß ist wie die ganze Welt!«
    »Ja!« lachte Rutger geifernd.
    »Und wenn du danach noch einen Vorhang machst, dann hängen wir ihn an der Sonne und dem Mond auf!«
    »Ja! Ja!« Rutger beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuß auf die Wange.
    Nie zuvor war jemand auf die Idee gekommen, daß man in

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