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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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siegte in der Welt, war dies der eigentliche Anblick der ewigen Stadt. Er war rundum zufrieden. Da er wenig Geld ausgab, konnte er vom Erbteil seines Vaters möglicherweise bis zu seinem Tode leben; auch der Dauerauftrag für Quintens Erziehung war nicht gefährdet. Von seiner Mutter, die seit einigen Wochen im Krankenhaus lag, erwartete ihn noch mehr, außerdem bezog er für einige Jahre reichlich Wartegeld. Ein Mensch, dachte er, müßte sich eigentlich sein Leben lang auf der Straße herumtreiben oder, wenn er sich das nicht leisten konnte, wirklich etwas tun. Vielleicht war der wahre Mensch Bauer oder Handwerker.
    In einer Telefonzelle, deren Boden bedeckt war mit den Seiten des zerfetzten Telefonbuches, rief er Helga an. Sie verabredeten sich in einem griechischen Restaurant.
    Bei Kerzenlicht, das auch die zähesten Lammkoteletts wie edle Tournedos aussehen ließ, erzählte er ihr von seinen entlassenen Kollegen und Parteibonzen, die jetzt im Fraktionszimmer des Parlamentsgebäudes verbittert zusammensäßen, er selbst habe sich diese Trauerfeierlichkeit jedoch ersparen wollen. Er zelebriere seine wiedergewonnene Freiheit regelrecht, seit einem Monat sei er gerade mal vierundvierzig – und habe noch ein ganzes Leben vor sich! Und endlich auch mehr Zeit für Quinten.
    »Wem machst du jetzt eigentlich etwas vor?« erkundigte sich Helga. »Mir oder dir?«
    Onno schwieg und seufzte tief.
    »Was für eine unausstehliche Weibsperson du doch bist.
    Natürlich mache ich mir selbst etwas vor. Aber hättest du mir dazu nicht etwas mehr Zeit geben können?«
    »Ich weiß genau, wann du den Hörer nehmen und deine verbitterten Genossen anrufen wirst.«
    »Und wann wäre das?«
    »Wenn du nachher nach Hause kommst und die vergilbten Unterlagen deines Diskos an der Wand hängen siehst.«
    Er sah sie einige Sekunden lang streng an.
    »Hältst du es eigentlich für angebracht, jemanden so gut zu kennen? Das ist zwischen Mann und Frau absolut unerwünscht. Zwischen Mann und Frau sollte es ausschließlich Mißverständnisse geben, damit diese durch die fleischliche Vereinigung überwunden werden können.«
    »Verzeihung.«
    Er nahm ihre Hand und küßte sie.
    »Was sollte ich ohne dich anfangen?«
    Und auf einer Bank, die eigentlich viel zu schmal war für seinen Körper, saß er einige Wochen später als Fraktionsmitglied im Parlament und hörte sich stöhnend die Regierungserklärung an.
    Der Diskos von Phaistos hatte ihn unerbittlich zurück nach Den Haag getrieben. Wie die meisten seiner Kollegen aus dem ehemaligen Kabinett hätte auch er sich für eine Stelle außerhalb der Politik bewerben können, er hätte vielleicht Direktor der Stichting voor Zuiver Wetenschappelijk Onderzoek werden können oder Bürgermeister der Gemeinde Westerbork, um dann die sarkastischen Glückwünsche seines ältesten Bruders entgegennehmen zu müssen; aber er tat, was einem Politiker in seiner Lager seiner Meinung nach anstand: er arbeitete in der Opposition, die jetzt vom ehemaligen Premierminister geführt wurde. Außerdem entsprachen all diese gesellschaftlichen Repräsentationsposten nicht seinem Charakter. Als echter Politiker hatte er sich zwar nie gefühlt, war aber wie dieser ein Bohemien, ein Junge von der Straße, um nicht zu sagen, ein Straßenkämpfer, eine Randfigur, ein Abenteurer. Und er merkte schon bald, daß er als Parlamentarier in gewisser Weise mehr in seinem Element war denn als Lenker und Leiter: Beißende Zwischenrufe und Einwürfe fielen ihm leichter als weise Politik. Im Handumdrehen verursachte er eine politische Auseinandersetzung. Als Antwort auf die Entwicklung der linken Niederlande hatten sich die beiden wichtigsten evangelischen Parteien mit der katholischen zu einer konfessionsübergreifenden Gruppierung zusammengeschlossen, in Wahrheit jedoch hatten sich die Katholiken die Evangelischen schlichtweg einverleibt, die Bilderstürmer waren von den Bildanbetern schließlich doch noch besiegt worden, und das hatte Onno zum Anlaß genommen, während einer Plenarsitzung zum Mikrophon zu gehen und dem neuen, superkatholischen Ministerpräsidenten ins Gesicht zu sagen, daß der Achtzigjährige Krieg, durch den die Nation geboren wurde, offenbar vergebens geführt worden sei. Damit hatte er die Niederlande ins Herz getroffen und wie nebenbei sogar noch das Königshaus mit hineingezogen. Die Bemerkung reichte für eine wochenlange Aufregung in den Zeitungen und im Fernsehen.
    Als er jedoch sah, wie sich das Gesicht des

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