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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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bestimmt. Soll ich dir was sagen? Eine Fahrradlampe verbraucht in einer Sekunde mehr Energie, als die vierzehn Parabolspiegel in hunderttausend Jahren auffangen.«
    »Wirklich?« fragte Quinten.
    »Wirklich. Was das angeht, sind wir also schon ein ganzes Stück weitergekommen. Mit anderen Worten: Praktisch gesehen, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen, aber der eine oder andere Einstein müßte dafür erst ein völlig neues Prinzip erfinden, etwas total Neues, das ja zum Beispiel auch für das Fernsehen nötig war.«
    »Wenn du das sagst«, sagte Onno, »dann wird es wohl so sein. Da wartet also eine schöne Aufgabe für dich – solange du im Kopf behältst, daß Quinten Anspruch auf einen geteilten Nobelpreis hat.«
    Quinten war es unangenehm, daß Max seinem Vater widersprochen hatte, andererseits fühlte er sich durch seinen Beifall geschmeichelt, und daß sein Vater sich von Max überzeugen ließ, fand er nett von ihm. Natürlich gefiel es ihm auch, daß so lange und ausgiebig über seine Idee diskutiert wurde.
    »Wenn es eine Möglichkeit gibt«, sagte Max, »wird sie meiner Meinung nach noch sehr viel schwerer zu finden sein als der Schlüssel zu deinem Diskos. Du bist doch auch davon ausgegangen, daß darauf eine Botschaft aus tiefster Vergangenheit zu lesen ist?«
    »Doktor Quists unvergeßliche Erzählung von A bis Z «, sagte Helga, während sie aus dem Zimmer ging und Onno einen kurzen Blick zuwarf.
    Onno seufzte tief.
    »Weißt du, was dieses Weibsbild ist? Meine Eckerfrau. Die vergißt nie irgend etwas von dem, was ich je gesagt habe. Weiß der Himmel, vielleicht steht dieses neue Prinzip sogar auf diesem Kreter Unding? Wer weiß? Wenn ich eines Tages wegen staatsgefährdender Überintelligenz der Macht enthoben und von der Militärpolizei schmählich über die Grenze gejagt werde, versuche ich es noch ein einziges Mal – aber ich fürchte, daß ich nun gerade dieses Historioskop brauchen werde, um das Prinzip entziffern zu können, auf dem es basiert. Abgesehen davon, würde ich vermutlich rechtzeitig von irgendeinem Geheimdienst oder den Agenten des Papstes ermordet, denn stell dir vor, was dann los wäre: Bilder von allem, was jemals passiert oder gerade nicht passiert ist –.«
    »Oder Filme«, sagte Quinten.
    »Oder Filme, noch besser! Zuerst Stummfilme, dann Tonfilme, und später alles in Farbe. Wir richten die Kamera auf den Stern von Bethlehem und zoomen dann auf den Ölberg.
    Fährt da jemand gen Himmel? Nein. Nimmt dort jemand auf dem Berg Horeb die Zehn Gebote entgegen? Leider. Nein, ich würde ganz zu Recht aus dem Weg geräumt werden, die Welt würde im Chaos versinken.«
    »Großreinemachen«, sagte Max, »das wäre es. Der ganze Lug und Trug würde ans Licht kommen, und der Mensch wäre befreit und endlich im Besitz der vollen Wahrheit!«
    Aber während er sprach, sah er zu seinem Entsetzen plötzlich noch eine andere astronomische Dokumentation vor sich: die Bucht bei Varadero, er selbst in den Wellen, Wange an Wange mit Ada, ihre gespreizten Beine um seine Hüften, im blutroten Licht des aufgehenden Mondes. Das Bild war also noch nicht verschwunden – nicht einmal in ihm selbst!
    Onno wollte ihn fragen, welche Ereignisse er zuerst aufnehmen würde, aber an seinem Blick sah er, daß das etwas Furchtbares sein würde, vielleicht die Hinrichtung seines Vaters, und richtete seine Frage deshalb an Proctor: »Und Sie? Auf was würden Sie Ihre historische Kamera richten?«
    Wie es sich für jemanden gehört, der nur zum Essen bleiben darf, hatte sich der Übersetzer nicht in die Unterhaltung eingemischt. Jetzt aber stützte er sich auf die Knie, beugte sich vor und sagte:
    »Ins Jahr 1647, und zwar auf das Sterbebett in einem bestimmten Haus in der Altstadt von Stuttgart, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.«
    »Gut. Dafür schrauben wir die alle Mauern durchdringende Röntgenlinse auf das Objektiv. Und wen wollen Sie dort sterben sehen?«
    »Francis Bacon«, sagte Proctor und sah mit vielsagendem Blick vom einen zum anderen.
    »Francis Bacon?« wiederholte Max. »In Stuttgart? 1647? Irren Sie sich da nicht?«
    Proctor lachte, aber sein Lachen hatte einen bitteren Unterton. Tatsächlich sei die offizielle Wissenschaft jahrhundertelang davon ausgegangen, daß er 1626 gestorben sei, in der Nähe von London, aber neue Daten hätten etwas anderes ans Tageslicht gebracht, zumindest für diejenigen, die aufgeschlossen und in der Lage seien, sich von alten Auffassungen zu lösen.

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