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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Bücherregal gelehnt stand. Verwundert sah Quinten es an. Seit Jahren war das Bild mit den anderen Sachen im Zimmer eins geworden, er hatte es nicht mehr bemerkt: der Obelisk an dem Gebäude mit der Heiligen Treppe.

43
Funde
    Anfang des Sommers 1980 wurden in Westerbork die beiden neuen, mobilen Spiegel in Betrieb genommen, jedoch nicht von Onnos Nachfolger, sondern vom Minister persönlich.
    Onno und Helga fuhren von Den Haag aus mit ihm hin und ließen sich vom Kommissar der Königin, Diederic, der nun bald pensioniert werden würde, willkommen heißen. Ferner waren sämtliche Astronomen aus Leiden zugegen, im Mittelpunkt der alte Direktor, der inzwischen achtzig Jahre alt war, sich aber immer noch so gerade hielt, als sei er die Achse, um die sich der Himmelsglobus drehte. Auch ganz Dwingeloo war erschienen, sogar Tsjallingtsje, aber nur, weil sie endlich Sophia und Quinten einmal sehen wollte. Quinten hatte zuerst keine Lust, aber nachdem er erfahren hatte, daß auch sein Vater dasein würde, waren auch Sophia und er gekommen. Als Max alle mit einem Glas Champagner in der Hand im Kontrollgebäude versammelt sah, mußte er an die Kriminalromane denken, in denen sich am Ende alle Verdächtigen in der Hotelhalle einfanden und der Detektiv nach einer messerscharfen Rekonstruktion genau den als Täter überführte, von dem man es am allerwenigsten gedacht hätte.
    Nach den Reden und dem Knopfdruck des Ministers spazierte ein großer Teil der Gesellschaft, darunter auch Tsjallingtsje, zum dreizehnten und vierzehnten Spiegel, die drei Kilometer entfernt waren, einige Gäste hatten noch ihr Champagnerglas in der Hand. Floris, der wußte, wie weit es war, hatte sich eine ganze Flasche in die Tasche gesteckt. Sophia blieb mit Helga im Kreis der Astronomengattinnen zurück, die die Spiegel nicht weiter interessierten, und Max, Onno und Quinten spazierten zusammen über das Gelände. Onno, der zum ersten Mal in Westerbork war, hatte Quinten eine Hand auf die Schulter gelegt und hörte Max zu. Nur die Villa des Lagerkommandanten stand noch; die Baracken hatten einer weiten, unschuldig wirkenden Rasenfläche Platz gemacht, auf der hier und da ein Baum stand und die auf allen vier Seiten von Wald eingefaßt war. Während sie über den Boulevard des Misères gingen, versuchte Max, Onno ein Bild der Szenen zu vermitteln, die sich hier vor fast vierzig Jahren abgespielt hatten; aus Rücksicht auf den Jungen hielt er sich dann aber doch zurück, aber plötzlich fragte Quinten:
    »Bist du Jude?«
    Max und Onno wechselten einen kurzen Blick.
    »Meine Mutter ist hier auch in den Zug gestiegen und nie mehr zurückgekehrt.«
    »Und dein Vater?«
    »Der nicht.«
    »Lebt er noch?«
    »Auch schon lange nicht mehr.«
    Quinten schwieg. Seit er einmal mit Herrn Spier darüber gesprochen hatte, hatte er nicht mehr an Juden gedacht, und es schockierte ihn, daß nun auch Max mit diesen Dingen zu tun hatte: sogar seine Mutter war von Hitler ermordet worden! Es ging ihn nichts an, aber sein Unwissen gab ihm ein leichtes Schuldgefühl. Was wußte er eigentlich von ihm? Letztes Jahr hatte er aufgeschnappt, daß er zur Beerdigung seiner Pflegemutter nach Bloemendaal gefahren war; damals hatte er nicht weiter gefragt, aber jetzt begriff er, warum Max – eigentlich genau wie er selbst – Pflegeeltern gehabt hatte.
    Am Prellbock hatte man über eine Länge von etwa zehn Metern und ordentlich eingefaßt von einer Art Bordstein die Schienen und Schwellen liegenlassen. Max zeigte auf den neuen Prellbock; der alte lag unmittelbar dahinter und war fast vollständig verrottet. Ein Künstler hatte das Ende der Schienen nach oben gebogen, als ob der letzte Zug dort zum Himmel gefahren sei.
    »Es ist alles für immer verschwunden«, sagte Max, als er die Augen über das Gelände schweifen ließ.
    In der Ferne spazierte eine fröhliche Gruppe von Honoratioren und Astronomen an der respekteinflößenden Reihe der Parabolspiegel vorbei, die wie die Schienen auf den blauen Himmel gerichtet waren; leise klang Gelächter herüber. Während weder Max noch Onno wußten, was sie jetzt sagen sollten, sah Quinten zwischen Spiegeln und Schienen hin und her, die ihn an die Fühler eines Grashüpfers erinnerten.
    »Ich glaube«, sagte er, »daß man auch später noch sehr gut sehen kann, was hier im Krieg passiert ist.«
    Entgeistert sahen Max und Onno ihn an.
    »Darf man fragen, was du meinst?« fragte Onno.
    »Das ist doch wohl ganz logisch. Max hat einmal erzählt, daß

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