Die Entdeckung des Himmels
des vorvorigen Kabinetts ersetzt zu werden, das sich zuvor bei der letzten Regierungsbildung hatte übervorteilen lassen und jetzt um jeden Preis wieder regieren wollte – eingedenk des Sprichworts, daß die Politik nicht die verschleißt, die an der Macht sind, sondern jene, die nicht an der Macht sind.
Kurz vor Abschluß der Regierungsverhandlungen trafen sich an einem Sonntag im August zwanzig oder dreißig der Hauptakteure zu einer Schiffsfahrt auf dem Ijsselmeer. Das Treffen war Monate zuvor von einem aufgeklärten, eigenwilligen Bankier organisiert worden, der nicht nur die Kunst förderte, sondern sich nicht einmal die eigene Meinung von seinen Interessen diktieren ließ; sein Reichtum hielt ihn nicht davon ab, mehr oder weniger linke Positionen zu vertreten; und da er, trotz dieser mehr oder weniger linken Position, eben ein reicher Bankier und obendrein ein Sproß aus einem alten Patriziergeschlecht war, hatte niemand je einen Grund, eine Einladung von ihm abzuschlagen. Aber nun sah die Schiffsfahrt für die neuen politischen Freunde plötzlich nach einer passenden Gelegenheit aus, um ungestört den Kampf um die Pfründe auszutragen; die Vorgänger der konservativen Minister, die ebenfalls eingeladen worden waren, hatten begriffen, daß sie besser leider verhindert sein mußten. Ihre Plätze wurde von favorisierten Ministern wie Onno eingenommen. Meistens übernachtete er samstags bei Helga, aber diesmal war er nach Hause gegangen, sie hatte eine Karte für eine Nachtvorstellung von Les enfants du paradis und wollte am nächsten Morgen ausschlafen.
Bevor die stöhnenden, unausgeschlafenen Politiker an Bord gingen, tranken sie Kaffee im Muiderslot, aber um elf Uhr landeten bereits die ersten leeren Whiskyflaschen in den Abfalleimern. Es war ein schwüler Tag; die Hochseeyacht der Bank arbeitete sich unter dem Kommando eines grauhaarigen Kapitäns und Steuermanns in einer Person und zwei Damen in weißen Schürzen, die die Passagiere verpflegten, durch das träge Wasser, das genauso grau war wie der Himmel. Mittags würden sie in Enkhuizen anlegen, wo der sozialdemokratische Parteivorsitzende ein Orgelkonzert geben wollte; danach würde man nach Friesland übersetzen, nach Stavoren, wo ein Hotel reserviert worden war. Für diejenigen, die nicht übernachten wollten, würden für die Rückfahrt Dienstwagen bereitstehen.
Auf dem Achterdeck erläuterte Onno dem Bankier mit einem Glas Cola-Rum in der Hand, warum ihn alle für das Amt des Verteidigungsministers für ganz besonders geeignet hielten.
»Das habe ich meinem großen Mundwerk zu verdanken.
Sogar in meiner eigenen Partei befürchten sie, daß ein Sozialdemokrat sich nicht gegen die Generäle behaupten kann.
Aber sie wissen, daß ich diese Herrschaften gleich am ersten Tag Aufstellung nehmen lassen und ihnen sagen werde: Meine Herren, wenn einer von Ihnen jemals meinen sollte, mir mit Rücktritt drohen zu müssen, so kann er sich automatisch als entlassen betrachten. Und nachdem ich sie auf meine Person Treue bis in den Tod habe schwören lassen, werde ich mit einem schrecklichen Erstschlag die Sowjetunion von der Landkarte tilgen.«
Der Bankier hatte ein ansteckendes, asthmatisches Lachen, das im Klangkörper seines Leibes Volumen bekam. Er schwitzte, und mit einer Zeitung wehrte er sich unablässig gegen die Myriaden kleiner Mücken, die das Boot begleiteten. Sie waren im übrigen nicht die einzigen Begleiter: In einigen hundert Metern Entfernung folgte der Yacht ein Patrouillenboot der Wasserpolizei. Auch auf dem Vorderdeck hatte sich eine illustre Gesellschaft versammelt, aber die wichtigen Angelegenheiten wurden in der Kajüte besprochen, in die keiner hineinkam, ohne gerufen worden zu sein. Durch die offenen Türen am Ende der steilen Treppenstufen konnte Onno sie am Salontisch sitzen sehen: den Ministerpräsidenten und die beiden anderen Parteivorsitzenden mit ihren engsten Parteifreunden.
In regelmäßigen Abständen ging jemand zur Steuerkabine, um zu telefonieren. Offenbar gab es Probleme, denn seit über einer Stunde waren sie ausschließlich unter sich. Jeder in dieser Runde redete jeden beim Vornamen an, aber das Personal wurde, wie Onno auffiel, mit »Herr« und »Frau« angesprochen.
Wieso eigentlich? Weshalb hatte diese Handvoll Menschen am Tisch in den Niederlanden das Sagen? Wie war es möglich, daß das möglich war? Offenbar gab es tatsächlich zweierlei Arten von Menschen auf der Welt. Onno leerte sein Glas, sah im Kreis
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