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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Bauingenieuren. Mensch, Kuku, ich hätte gute Lust zu glauben, daß es stimmt, was du sagst. Und wenn man weiß, daß das Erzeugen von Kernenergie und folglich auch die Atombombe Einstein zu verdanken sind, dem zweiten Newton, dann hat Boullée vielleicht eigentlich ein Einstein-Monument entworfen.«
    »Deshalb ist es auch nicht gebaut worden«, nickte Quinten.
    »Weil das erst heute aktuell ist, willst du sagen? Ja, warum eigentlich nicht? Obwohl –«, er verzog leicht das Gesicht, »es gibt da doch noch einige Haken und Ösen. Nicht in technischer Hinsicht, sondern in bezug auf etwas, das auch wieder mit einem Paradiesapfel zu tun hat.«
    Dann hielt Themaat Quinten eine Vorlesung über das Gigantische. Das immer mit dem Tod zu tun habe. Das Kolosseum sei gebaut worden mit dem Wissen, daß darin Menschen und Tiere umkämen; die riesige runde Engelsburg sei von Hadrian als Mausoleum für sich und seine Nachfolger erbaut worden. Das Gigantische habe seinen Ursprung in Ägypten, wo das ganze Leben auf das Totenreich ausgerichtet gewesen sei. Die Pyramiden, alles reine Verneinungen der Zeit, seien auch nichts anderes als Gräber mit einem Sarkophag in ihrem Inneren; und was Boullée zuwege gebracht habe, zumindest in der Phantasie, sei eine Verbindung dieser nekrophilen Gigantomanie mit ihrem Gegenteil, der griechischen Harmonie und Mäßigung. Er zeigte ihm ein Blatt mit einem Entwurf für eine Nekropole: eine Pyramide, in der an der Basis eine halbrunde Höhle ausgespart war, wo, eingeklemmt wie eine Maus in der Falle, eine griechische Tempelfront mit Säulen und einem verzierten Giebeldreieck stand. Der Bogen-Portikus erinnere ebenfalls an das Pantheon, aber hier werde dieses lebenslustige griechische Element überschattet und erdrückt von der Masse des Ägyptischen darüber. Die architektonische Repräsentation des fragilen Lebens, das plötzlich von der Macht eines gigantomanischen Todes bedroht werde, kehre hundertfünfzig Jahre nach Boullée zurück im Stein gewordenen Ausdruck des Massenmords: in den Entwürfen, die Albert Speer für Adolf Hitler angefertigt habe.
    Quinten erschrak, als er den Namen hörte: Da war dieser Schuft schon wieder. Dieser Name sollte eigentlich nie mehr genannt werden! Herr Themaat zeigte ihm Bilder von den Plänen für ›Germania‹, wie Berlin als tausendjährige Welthauptstadt nach dem Endsieg hätte heißen sollen. Paraden maßloser Gebäude, mit der Großen Halle als manisch-germanischem Höhepunkt, die alles übertraf, was je erdacht worden war.
    Auch dieses Monstrum kam nach Speers Aussage aus dem unerschöpflichen Schoß des Pantheons hervor: eine neoklassizistische Säulenfront und dahinter ein runder Raum mit einer Kuppel. Aber diese Kuppel war jetzt doppelt so hoch wie die Cheopspyramide; obendrauf eine zylinderförmige, von Säulen umgebene Laterne für den Lichteinfall, die ihrerseits um Meter höher und breiter war als das gesamte Pantheon, das seinerseits wiederum viel größer war als Michelangelos Kuppel im Petersdom. Und als Krönung, als Lunte von Quintens Bombe, wachte über allem ein Adler mit der Erdkugel in seinen Krallen. Die Halle, erzählte Herr Themaat, fasse einhundertachtzigtausend Menschen, die auf den Status von Flöhen reduziert seien, es müsse darin sogar mit Wolkenbildung und Nieselregen gerechnet werden. Das Projekt ging zurück auf eine Skizze, die Hitler irgendwann selbst angefertigt hatte: Ursprünglich habe er Baumeister werden wollen, erzählte Herr Themaat, aber danach sei er doch lieber ins Abrißgewerbe gegangen, nach seinem Selbstmord habe in Berlin kein Stein mehr auf dem anderen gestanden. Sogar die Bauzeichnungen seien schließlich verbrannt.
    »Jetzt hast du architektonisch also alles beisammen, Kuku.
    Hiroshima und Auschwitz. Der gigantische Triumph von Wissenschaft und Technik im zwanzigsten Jahrhundert!«

    Wenn Quinten ungestört lesen oder Flöte spielen wollte, setzte er sich bei schönem Wetter manchmal an das Ufer des Weihers. Umringt von den hohen Rhododendren und meistens in Gesellschaft der beiden schwarzen Schwäne, die auf ihrem Spiegelbild trieben, fühlte er sich sicher und zufrieden. Er hatte sich aus Zweigen eine Hütte gebaut, auf die er stolz war und die ihn zumindest vor Nieselregen schützte. Aber wenn ihn etwas bedrückte oder wenn er über etwas nachdenken mußte, suchte er meist einen anderen Platz auf, der einige hundert Meter außerhalb des Landgutes lag, hinter dem Gelände des Barons.
    Obwohl dort täglich

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