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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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herum und wollte fragen, ob nicht eigentlich auch ein Gott an Bord sein sollte, aber er beherrschte sich.
    Die ersten Anzeichen von Trunkenheit machten sich bemerkbar. Auf dem Vorderdeck rief ein Minister ad interim schon seit geraumer Weile: »Gerade soll er gehen!«, worauf der Kapitän und Steuermann jedesmal lächelnd nickte und ein gestandener Politiker in einem zu dicken Schiffspullover einer Dame von der Bedienung drohte: »Heute nacht werde ich Ihre Haare zählen.« Langsam und sinnlos rotierte das Radar, sie fuhren an Marken vorbei, und als sie Volendam und Edam hinter sich gelassen hatten, versank die Küste allmählich hinter dem Horizont. Obwohl das Schiff von nichts als Wasser umgeben war, wurde die Luft immer schwüler. Jeder war inzwischen überzeugt davon, daß in der Kajüte etwas nicht wunschgemäß verlief, irgend etwas stimmte nicht.
    Als Onno an der Reling mit dem Außenminister die delikate Frage des Kronprinzen erörterte, der aller Wahrscheinlichkeit nach während seiner Amtszeit wehrpflichtig wurde, kam sein Parteivorsitzender aus der Kajüte. Er hatte seine Krawatte gelockert, und hinten hing ihm das Hemd aus der Hose; mit unbeholfenen, unkoordinierten Bewegungen nahm er Onno hinter der Schaluppe beiseite, und der wußte nun sofort, daß wirklich etwas nicht stimmte.
    Der Parteivorsitzende, Premierminister des Kabinetts, in dem Onno Staatssekretär gewesen war, Vizepremier in der nächsten Legislaturperiode und zwei Köpfe kleiner als Onno, wedelte mit einem Papier und sah mit seinem kahlen Kopf zu ihm auf.
    »Der Typhus ist ausgebrochen, Onno. Warst du siebenund-sechzig auf Kuba?«
    Das war es.
    »Ja.«
    »Hast du da teilgenommen an –«, er setzte eine Lesebrille mit schwerer Fassung auf und versuchte das Papier zu lesen, aber Onno ergänzte seine Frage sofort:
    »La primera Conferencia de La Habana? Ja, aber eigentlich auch nicht.«
    Sprachlos nahm der Parteiführer die Brille ab und sah ihn an.
    »Und da warst du wirklich in der ersten Arbeitsgruppe – in der, die sich mit dem bewaffneten Kampf beschäftigt hat? Ich bringe es kaum über die Lippen.«
    »Ja, Koos.«
    Entgeistert drehte sich Koos einmal um die eigene Achse und schaute über das Wasser hin; in seinem Nacken bildeten die etwas zu langen weißen Haare eine Reihe von Spitzen, die wie Haifischzähne aussahen.
    »Was hat das um Himmels willen zu bedeuten? Glaubst du wirklich, du kommst mit einer derartigen Macke in deiner Biographie ins Verteidigungsministerium? Warum hast du mir das verschwiegen?«
    »Ich habe nichts verschwiegen, ich habe schlichtweg nie mehr daran gedacht. Es ist vierzehn Jahre her. Für mich war das ein komischer Zwischenfall ohne Bedeutung.«
    »Wie dumm bist du eigentlich, Onno?«
    »So dumm also.«
    »Weißt du, was du der Partei damit antust? Die gesamte Regierungsbildung ist jetzt vielleicht wieder gefährdet. Sag mir, was war das? Hast du vielleicht auch eine Guerilla-Ausbildung genossen?«
    Onno ignorierte die Bemerkung und fragte:
    »Gibt es einen anonymen Brief?«
    »Ja.«
    »Dann weiß ich auch, wer ihn geschrieben hat.«
    »Wer denn?«
    »Bart Bork.«
    »Bart Bork? Bart Bork? Dieser kommunistische Studentenführer von damals? Warst du zusammen mit ihm auf der Konferenz?«
    »Im Gegenteil. Er durfte nicht. Aber er hatte noch ein Hühnchen mit mir zu rupfen, und es sieht so aus, als würde ihm das gelingen.«
    »Würdest du mir bitte auf der Stelle die ganze Geschichte erzählen?«
    »Ich lege Wert darauf, es in Gegenwart des designierten Ministerpräsidenten zu tun.«
    »Von mir aus.«
    »Ist der Brief an dich gerichtet?« fragte Onno, während sie unter den schweigenden Blicken der anderen in die Kajüte gingen.
    »Nein. Dorus hat ihn gerade aus heiterem Himmel auf den Tisch gelegt. Verdammt noch mal, Onno, das gönne ich ihm nicht.«
    Onno wußte, daß der Ministerpräsident der Fluch in Koos’
    Leben war. Als Dorus Justizminister in seinem Kabinett war, hatte er sich schwarz geärgert über diesen bigotten Fanatiker, der schon das Wort Abtreibung mied wie der Teufel das Weihwasser – von Euthanasie ganz zu schweigen –, der aber bei den Zugentführungen durch die Molukker in Drenthe erbarmungslos schießen ließ. Bei der letzten Regierungsbildung war Koos eiskalt von ihm übergangen worden, als Oppositionsführer hatte er keine Möglichkeit gehabt einzugreifen, und jetzt mußte er unter ihm dienen. Politik war die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, man konnte ihn gewinnen oder

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