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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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übrig für die Mächtigen? Was sind sie dann? Ist irgendjemand schon einmal bis hinter die Goldene Mauer vorgedrungen, und was konnte er sehen? Nichts Besonderes. Das Tun ganz normaler Menschen, die weder interessanter noch sonstwie anders sind als die Machtlosen. Sie üben die Macht nicht auf die eine oder andere ›mächtige‹, unentrinnbare, sozusagen mathematische Weise aus, wie der Machtlose immer glaubt, sondern ebenso chaotisch und improvisierend wie jeder Machtlose, der seine kleinen Angelegenheiten regelt. Dorus und Frans haben das Kabinett während eines Diners gebildet, Churchill und Stalin den Balkan bei einem Drink verteilt. Dennoch – sie müssen irgendeinen Surplus besitzen, den die Machtlosen spüren, denn sonst würde doch jeder, der auf Macht aus ist, mit dem Kopf durch die Mauer wollen. Das, lieber Edgar, bedeutet, daß auch die ›power ful might‹
    von Shakespeares Dark Lady in gewissem Sinne nicht ihre ureigene Qualität war, denn sie besaß sie nicht für alle Männer.
    Ihre Antwort auf seine Frage, woher sie sie habe, müßte also genaugenommen lauten: ›From you yourself, Billy.‹ Er verlieh ihr diese Macht über sich – obwohl – Ja, da sage ich es wieder: obwohl – und dennoch – Woraus besteht dieser Surplus?
    Doch wohl nicht aus Intelligenz, denn immer und überall sind auch unsägliche Idioten an der Macht gewesen, und es gibt genügend hochintelligente Menschen, die sie niemals hatten, selbst wenn sie es trotz ihrer Intelligenz wollten. Auch der ›Wille zur Macht‹ ist nicht der Surplus, denn wie viele gibt es, die es wollen, denen es aber nie gelingen wird, und wie viele, die an die Macht kommen, es aber nie gewollt haben und zu ihrer eigenen Verwunderung dorthin getrieben wurden. Politischer Instinkt, wirst du vielleicht einwerfen; aber dazu gibt es zu viele Menschen mit politischem Instinkt, die es nie weiter bringen als bis zum Ressortleiter einer ländlichen Gemeinde. ›Charisma‹ vielleicht? Das ist nur ein griechisches Wort und bedeutet ›Gabe‹ und ›Gnade‹: damit wird die Frage nicht beantwortet, sondern eher gestellt. Nein, es ist etwas mit im Spiel, das keiner außer mir weiß. Aber das muß ich jetzt erst einmal aufschreiben, ehe ich es vergesse: Die ganze Gesellschaft ist wie ein Schwamm mit allen Formen der Macht getränkt: der zwischen Mann und Frau, der im Unterricht, im Betriebsleben und gegenüber Tieren, nirgends gibt es keine Macht – aber was ist im Unterschied dazu politische Macht? Politische Macht bedeutet, daß jemand Dinge in Bewegung setzen kann, von denen er nicht die geringste Ahnung hat; daß er sich in einer Position befindet, in der er über das Schicksal von Menschen entscheidet, die er nicht kennt. Manchmal sogar auf Leben und Tod, und das nicht selten über den eigenen Tod hinaus.
    Die Machtlosen sehen den Mächtigen, er aber sieht sie nicht.
    Das gilt nicht nur für Cäsar, Napoleon, Hitler oder Stalin, sondern auch für unsere eigenen braven holländischen Machthaber, für Koos und Dorus, und natürlich für Sie, und früher auch ein ganz klein wenig für mich. Ich weiß nicht, wie das bei den Raben aussieht, aber so ist es zumindest bei den Menschen.
    Politische Macht ist abstrakt und wird erst außerhalb des Gesichtsfeldes des Mächtigen konkret. Aber worin besteht nun ihr Surplus, aufgrund dessen sie an der Macht sind? Was hat Dorus mit Hitler gemein? Und was Koos mit Stalin? Ich werde dir etwas sagen, das dich erstaunen wird. Als ich noch Teil der Macht war, hatte ich einmal ein Diner im Elysee-Palast. Mir gegenüber saß ein französischer Soziologieprofessor. Nach der Tischrede von Mitterrand erzählte er, einige seiner Studenten hätten während des Wahlkampfes die Plakate mit den Porträts von Mitterrand und Giscard d’Estaing in irgendeinem zurückgebliebenen Bauerndorf in Thailand aufgehängt. Die Bevölkerung hatte nie von den beiden Herren gehört, und niemand konnte lesen, was auf den Plakaten stand. Am Tag der Präsidentschaftswahl ließen sie sie wählen, und was meinst du? Das Ergebnis entsprach genau dem in Frankreich. Damals lachten wir darüber, der Professor betrachtete das als guten Witz, und ich glaube nicht, daß er jemals die schreckliche Konsequenz daraus zu ziehen gewagt hat; aber mir fiel die Anekdote plötzlich wieder ein, als ich dahinterkam, wie es sich mit der Macht nun eigentlich verhält. Hör zu: Als Junge setzte ich Macht mit Besitz gleich. Meine Bücher gehörten mir, aber in höherem Maße

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