Die Entdeckung des Himmels
wir unterschätzt haben, ist unsere eigene Kreativität. Was wir geschaffen haben, war offenbar um einiges mehr, als wir gedacht haben. In unserem Scheitern steckt letztlich also ein Kompliment an die eigene Adresse: Unsere Kreativität ist größer als wir!
Dein Optimismus ist offenbar unverwüstlich, genau wie der von Leibniz. Aber trotz deiner unbestreitbaren Fachkompetenz bist du eben doch ein Bohemien, ein künstlerischer Schwerenö-
ter, der denkt: Gott segne den Griff. Vielleicht fragst du dich ja mal, ob es in Wahrheit nicht der Abglanz des Chefs ist, der unsere Kreativität größer macht, als wir sind.
Aha! Nur: wenn das so ist, dann liegt unser erfolgreiches Scheitern nicht in unserer Verantwortlichkeit, sondern ist Chefsache. Inklusive der Verführbarkeit des Menschen durch den Teufel und damit folglich auch des Untergangs des Chefs selbst, wie Sie mir soeben so eloquent bewiesen haben. Dann hat er sich nämlich mit der Schaffung des Menschen das eigene Grab geschaufelt.
Dieses Gespräch beginnt eine Wende zu nehmen, die mir absolut nicht gefällt. Ich hoffe nicht, daß dich deine Nähe zu den Menschen und deine Tricksereien mit dem Bösen auch Luzifer-Satan nähergebracht haben.
Dann würde ich mich nicht so anstrengen. Aber wenn ich ganz ehrlich sein darf: Er tut mir ein bißchen leid. Alles in allem ist er auch nur ein armer Tropf, der nicht anders sein kann, als er ist. Wir spielen nun mal mit Weiß, und er mit Schwarz. Wenn es einen gibt, der für immer und ewig zur Hölle verdammt ist, dann ist er es wohl.
Nichts wäre ihm lieber als das!
Das kommt noch dazu. Das ist seine Hölle in der Hölle.
Um so besser. Das ist ja, als würde jemand auf der Erde behaupten, er, dessen Namen ich nicht nenne, sei eigentlich ein armer Tropf und dieser jemand sein beklagenswertes Opfer.
Es ist wohl kaum Sache der Menschen, das zu behaupten.
Ihre zuallerletzt.
Ich freue mich, daß, du das sagst, denn deine Stellung hingplötzlich am seidenen Faden.
Ich hab’s geahnt.
Laß es uns dabei belassen, ehe es ausufert. Es ist natürlich traurig, daß es so weit hat kommen müssen, aber zugleich brenne ich vor Neugier zu erfahren, wie es dir schließlich gelungen ist. Erzähl. Ich höre.
51
Die Goldene Mauer
Um das entscheidende Ereignis zu ermöglichen, war es nötig, Onno Quist nach all diesen Jahren der Einsamkeit etwas zu besänftigen – auch deshalb habe ich ihm einen verirrten jungen Raben aus den Hügeln geschickt. Eines sonnigen Tages um die Mittagsstunde setzte er sich plötzlich ins offene Dachfenster, schüttelte die Federn, legte die Flügel zusammen, drehte sich einmal um die eigene Achse und hüpfte ins Zimmer, als wohne auch er dort.
Verdutzt sah Onno von seinen Aufzeichnungen auf.
»Was willst du denn hier?« fragte er. Da er den ganzen Vormittag noch kein Wort gesprochen hatte, räusperte er sich kurz.
Der Rabe heftete seinen Blick auf ihn und krächzte.
» Cras ?« wiederholte Onno. »Ja, du sprichst natürlich Latein.
›Morgen‹? Was ist morgen?«
Der Vogel hüpfte von der Fensterbank auf den Tisch, rührte einige Male mit seinen Schwanzfedern durch den Wust von Unterlagen, ließ ein wenig Kot fallen und begab sich hierauf zum Teller, auf dem ein paar Brotkrümel lagen. Mit dem lauten Ticken seines Schnabels, der blauschwarz wie Füllertinte war, pickte er sie auf und sah Onno an, als wollte er wissen, ob das alles sei. Nachdem er sich satt gegessen hatte, sprang er auf die Fensterbank, spreizte die Flügel und verschwand, war aber am nächsten Tag um die gleiche Zeit wieder da.
So begann zwischen den beiden eine Art Freundschaft.
Onno hatte noch nie etwas mit Tieren zu tun gehabt; in seinen Gedanken kamen sie nicht vor, und er war von Haus aus der Meinung, sie hätten keine Seele, aber schon nach einigen Tagen ertappte er sich dabei, daß er unruhig wurde, wenn der Vogel sich verspätete. Obwohl er keine Uhr mehr trug, seit er die Niederlande verlassen hatte, wußte er dank der Stundenschläge der Kirchenglocken immer, wie spät es war. Als der Rabe einmal einen Tag nicht erschien, war er unfähig, sich zu konzentrieren, sah traurig zum unberührten Teller und lehnte sich alle zehn Minuten aus dem Fenster, um zum Himmel zu schauen.
»So geht man nicht mit Menschen um, Edgar«, mahnte er am nächsten Tag mit vorwurfsvoll erhobenem Zeigefinger, »auch nicht als Vogel. Man läßt seinen Gastgeber nicht mit dem Essen sitzen. Ich verlasse mich darauf, daß das nicht mehr
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