Die Entdeckung des Himmels
haben.
»Daß die Koda noch immer nicht klappt! So können wir ganz bestimmt nicht auftreten.«
Sie ist jünger als er und hat erst vor kurzem das Konservatorium absolviert, an dem er Klavierunterricht erteilt, aber es ist klar, daß sie die erste Geige spielt im Duo. Er ist ein guter Pianist, was ihn selbst weniger interessiert als zum Beispiel die Geschichte der Unterhaltungsmusik. Er hat ein Ensemble zusammengestellt, das solche Unterhaltungsmusik aufführt; den Konzerten jedoch wird zugehört mit einem Unernst, der mit der Ernsthaftigkeit des musikalischen Engagements nicht übereinstimmt. Er selbst kann übrigens nur ernst sein, zumindest lacht er nie; er hat seine Persönlichkeit um den Beschluß herum aufgebaut, nie zu lachen. Darüber wird oft gelacht (obwohl man selten weint um jemanden, der nie weint).
Der Ehrgeiz, es als Pianist zu etwas zu bringen, fehlt ihm; daß er mit Ada auftritt, hat eher etwas mit Ada zu tun als mit der Musik, und sie weiß das. Aber sie läßt es über sich ergehen. Sie sind einige Male aufgetreten, vor irgendwelchen Studentenvereinigungen, aber schon allein das hat ihnen eine wohlwollende Kritik in der Zeitung eingetragen. Sie sieht für sich als Solistin die größten Perspektiven, und zwar internationale, in denen Cellokonzerte eine große Rolle spielen, berühmte Dirigenten, Bühnen in Paris und Mailand. Rostropowitsch! Pablo Casals!
»Wollen wir nachher in der Stadt zusammen essen gehen?«
Eine Frage wie diese hat sie erwartet, und sie nimmt es ihm übel, daß er sie wieder in Verlegenheit bringt. Er sollte allmählich wissen, daß sie dafür nicht zu haben ist. Sie könnte natürlich sagen, daß sie nicht mit ihm schlafen will, aber dann würde er antworten, daß er darum auch nicht gebeten habe, obwohl es in Wahrheit natürlich auf nichts anderes hinausgelaufen wäre. Er wird sie wahrscheinlich für frigide halten, und vielleicht ist sie das auch, trotz ihrer einundzwanzig Jahre hat sie noch nie mit einem Mann geschlafen, aber es sollte doch möglich sein, mit jemandem zusammenzuarbeiten, ohne daß es gleich zu derartigen Konsequenzen führt. Oder sollten sie ihre Zusammenarbeit lieber sein lassen, wenn die Dinge so liegen, wie sie liegen? Was sie als nächstes will, ist ein Trio oder ein Quartett; es gibt zuwenig Literatur für Violoncello und Klavier, um ewig in dieser Besetzung weiterzumachen.
Was sie sucht, sind musikalisch motivierte Menschen; aber solange sie die nicht gefunden hat, braucht sie ihn.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich einfach nach Hause gehe, Bruno? Ich übe lieber noch ein wenig.«
»Das eine schließt das andere doch nicht aus? Essen mußt du ohnehin.«
Sie nickt.
»Das stimmt. Aber du weißt, wie das geht.«
»Wie denn?«
Sie will diese Unterhaltung nicht. Wie in einer Ehe nach zehn Jahren, wenn der eine nichts mehr vom anderen will: Drängen, Hoffen, Verzweifeln – und am Horizont die Drohung von Gewalt.
»Ach, laß doch.« Sie ist fertig und will gehen, die eine Hand am Griff des Kastens, die andere zu einer unglücklichen Faust geballt, vier Finger um den Daumen, damit niemand sieht, daß sie auf den Fingernägeln kaut, aber gerade dadurch sieht man es noch viel besser. »Bis morgen.«
Sie nimmt den Cellokasten wie einen Sarkophag in die Arme und geht die Treppe hinunter auf die Straße. Brunos Studio ist nicht weit von ihrem Elternhaus entfernt, wo sie noch immer wohnt, und unterwegs kommt ihr plötzlich eine Szene aus einem Traum der letzten Nacht vor Augen: eine weite Bucht, und über dem Meer eine schmale, hohe, bernsteinfarbene Wolke in Form eines uralten verschlungenen Baumstamms, der langsam seine Gestalt verändert … Sie versucht, dieses Bild festzuhalten, ganz kurz noch sieht sie den Schatten einer schwarzen, fremdartig in die Breite gestreckten Gestalt mit einer Zipfelmütze und einer langen Lanze, aber dann machen eine Hupe und ein bremsendes Auto sowie ein an die Stirn tippender Zeigefinger dem Traumbild ein Ende.
Sie geht durch den Vorgarten nach hinten und durch die Küchentür ins Haus, wo ihre Mutter den bleichen, geköpften Leib eines Huhns mit einem weißen Faden verschnürt. Sie ist etwas größer als ihre Tochter und steht aufrecht und gerade da. Unter schwarzem, hochgestecktem Haar blicken sie Augen an, die aussehen wie ihre eigenen, nur kühler, argwöhnischer, ohne daß es hierfür einen bestimmten Grund gäbe.
»Wie war es?«
»Gut.«
»Eine Tasse Tee?«
»Gerne.«
Sie will die Treppe hinaufgehen, aber
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