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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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den Händen in den Hosentaschen und einer Zeitschrift unter dem Arm lehnte Max an der Telefonzelle am Rande der Gracht.
    »Darf Onno bitte mit mir draußen spielen, Frau Hartmann?« rief er mit imitierender, quengeliger Jungenstimme.
    Sie sahen sich wieder an, diesmal draußen, am Giebel vorbei. Die Katastrophe. Im selben Augenblick wußten beide, daß dies das Ende war – daß Max in seiner Unschuld plötzlich den Kern ihrer Beziehung bloßgelegt hatte.

    Nach einer Viertelstunde kam Onno endlich aus dem Haus.
    »Mußtest wohl erst noch deine Hausaufgaben machen?« fragte Max.
    Onno sah ihn nicht an. Wütend ging er neben ihm her.
    »Was du deinen Freunden antust … Es ist aus. Deine Schuld.
    Ich habe den Hausschlüssel auf den Tisch gelegt.«
    »Meine Schuld? Was habe ich denn getan?«
    »Das geht dich nichts an. Ich rede nicht mehr mit dir.« Er blieb stehen und sah ihn angewidert an. »Weißt du, was mit dir los ist?« Und als Max seinen Blick fragend erwiderte: »Weißt du das nicht?«
    »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Weißt du es wirklich nicht? Dann werde ich es dir sagen: Deine Intuition gefällt mir nicht. Deine Intuition gefällt mir ganz und gar nicht.«
    Max hatte keine Ahnung, auf was er anspielte; er wußte kaum etwas über Onnos Verhältnis zu Helga. Sie sprachen nie über Frauen, auch nicht über Autos oder Geld oder Sport.
    Höchstens über das Weib an sich , wie Onno sich auszudrükken pflegte, aber über ihre Freundinnen nie. Max nicht über die seinen, weil er sich nie die Zeit nahm, sie wirklich kennenzulernen und Onno es widerlich finden würde, zuzuhören, und Onno nicht über Helga, weil man das nicht tat. Die wenigen Male, die Max sie gesehen hatte, hatten sie kaum ein Wort gewechselt, nicht, weil er sie nicht mochte, sondern weil sie für sein Empfinden aus einer anderen Welt kam. Sie wäre ihm nie aufgefallen, selbst wenn sie ihm im Zug eine Stunde gegenübergesessen hätte; an ihr merkte er, wie sehr er sich von Onno unterschied. Er konnte sich keine Frau vorstellen, auf die sie beide ihren Blick richten würden.
    Er war weder in Helgas Appartement gewesen, noch bei Onno zu Hause, in der Kerkstraat. Onno war der Meinung, die Menschheit sei unterteilt in Gäste und Gastgeber, und er selbst gehöre von Natur aus nun mal zur ersten Kategorie; zudem sei das für ihn günstiger. Natürlich war das nicht der wahre Grund. Daß er Max in sein Elternhaus einführen und seiner Familie, seinem Vater vorstellen würde, war schlicht undenkbar, obwohl man in Den Haag schon längst – mit hochgezogenen Augenbrauen – von seiner merkwürdigen Freundschaft mit dem Sohn von Delius gehört hatte, und natürlich hätte man diesen Herrn gerne einmal aus der Nähe angeschaut. Nein, der wahre Grund war, daß es auch in ihm selbst einen Bereich gab, in den er keinen hineinschauen ließ, nicht nur Max und auch Helga nicht, sondern auch sich selbst.
    Dort, in einer inneren unwegsamen Region, gab es eine Einsiedlerhöhle, eine Kartäuserklause, wo bleiernes Schweigen herrschte, etwas, das drohend auf ihn zu warten schien, an das er lieber nicht dachte und über das er noch nie mit Max gesprochen hatte.
    Klagend ging er am Wasser entlang, mit hängenden Schultern, wie ein gebrochener Mann.
    »Was soll ich jetzt machen? Du hast mein Leben ruiniert.
    Ich bin unbehaust im Gegensatz zu dir, ich habe nur einen dürftigen Schutz vor Regen und Wind. Wer sorgt jetzt für meine Bewaschung? Du hast mich endgültig zugrunde gerichtet, und das lag natürlich immer in deiner Absicht. Ich werde in der Gosse enden und mit wirren Haaren, einem Bart und wahnsinnigem Blick in den Augen um ein Almosen betteln.
    Was wolltest du eigentlich, du Schuft?«
    »Ich komme nie mit einer Absicht«, sagte Max, »aber jetzt habe ich große Neuigkeiten. Ich war gerade beim Zahnarzt, und im Wartezimmer lag eine alte Ausgabe der Time. Darin steht ein wichtiger Artikel über uns.«
    »Über uns?« wiederholte Onno. »In der Time ?«
    Max schlug die Zeitschrift auf und zeigte auf einen Gedenkartikel über den Reichstagsbrand, der in zwei Tagen, am 27. Februar, vierunddreißig Jahre her war.
    »Was ist damit?«
    »Mann, ich bin am 27. November geboren, und du solltest auch am 27. November geboren werden. Wir haben doch festgestellt, daß wir ein zweieiiger Einling sind? Verstehst du?
    Neun Monate! Wir wurden während des Reichstagsbrands gezeugt! Während Van der Lubbe in Berlin die Gardinen anzündete, krochen in Den Haag und in Amsterdam unsere

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