Die Entdeckung des Himmels
abgewandtem Kopf, das Cello zwischen den gespreizten Beinen. Elegant stand ihr linker Fuß etwas vor; ihr weiter, schwarzer Rock war hochgerutscht, und er sah ein schmales Knie und dann den Übergang ihrer Strümpfe zum hellen Fleisch ihrer Oberschenkel.
Ich werde verrückt, dachte er. Ich will auch so befingert und gestreichelt werden von dieser Frau.
Sie hatte ihn nicht bemerkt. Auf Zehenspitzen ging er zurück und flüsterte: »Die Pflicht ruft. Ich sehe dich nachher in De Vergulde Turk.«
Onno nickte mitleidsvoll.
»Adieu, du Unglücklicher.«
Max’ Herz schlug heftig. Jedesmal war es wieder so neu wie beim ersten Mal. Er stellte sich jetzt so hin, daß er nicht gesehen werden konnte. Aber während er lauschte und sie betrachtete, veränderte sich etwas in ihm. Seine Erregung schwand nicht, aber es war, als öffnete sich dahinter langsam ein Raum, als ob sich im Theater der Vorhang höbe. Da sie so völlig in sich selbst versunken war, schien es ihm, als ob die Musik eigentlich aus einer hörbaren Stille bestand, einer geformten Stille: eine geometrische Figur, die sich darum herum aufbaute. Ab und zu stockte die Cellistin kurz und suchte mit dem Bogen in der Partitur: dann entstand eine Stille in der Stille. Ihr schwarz eingerahmtes Gesicht; das rötlich glänzende Holz des schlanken Klangkörpers zwischen ihren Beinen, die linke Hand am Hals; neben ihr der offene Kasten.
Ein Vers von Mallarmé fiel ihm ein: Musicienne du silence …
Warum fiel ihm ein Vers von Mallarmé ein? Er wollte mit ihr schlafen, aber das war nichts Besonderes, das war sein täglich Brot, aber es war seltsam, daß ihm ein Vers von Mallarmé einfiel. Natürlich konnte er einige hersagen, wie Un coup de dés n’ abolira pas le hasard , aber das war eigentlich eher ein Titel, der an das erinnerte, was Einstein einmal gesagt hatte, vielleicht hier in Leiden: Der liebe Gott würfelt nicht.
Versteckt zwischen den Büchern, sah er ihr zu. Über sich hörte er ein Rumpeln. Wollte er noch etwas anderes als ein- oder zweimal mit ihr schlafen?
Einer Eingebung folgend, stand er plötzlich im Zimmer.
Seine Erscheinung erschreckte sie so heftig, daß sie zusammenfuhr. Mit geweiteten Augen starrte sie ihn an. Die Reaktion ihres Körpers – wie etwas, das stärker war als sie und dem sie ausgeliefert war – bewirkte, daß er ihr noch mehr verfiel.
»Ich möchte ein Buch kaufen«, sagte er, »aber es kam keiner.
Also habe ich dich einfach belauscht. Ein Märchen. «
So lautete der Titel des Stücks: das wußte er offenbar. Aber noch erstaunter war sie über die ungezwungene Art, in der er zu ihr sprach. Männer hatten immer ein wenig Angst vor ihr, wie sie vor ihrer Mutter, aber dieser hier schien davon nichts zu spüren.
»Belauschen ist aber sehr unhöflich.«
Max lachte.
»Und das sagt eine musicienne ! Die Musikanlage als Abhörgerät!«
Mit einem Fleischmesser in der Hand kam ihre Mutter ins Zimmer: eine hübsche, schlanke Frau, die etwas Strenges ausstrahlte; sie hatte einen breiten Unterkiefer und einen schmalen Mund. Wenn sie ein schwarzes Nonnengewand angehabt hätte, hätte sie eine beeindruckende Äbtissin abgegeben.
»Höre ich Stimmen?«
Ada zeigte mit ihrem Bogen auf Max.
»Kundschaft.«
»Guten Tag.«
Er bekam einen mißbilligenden Blick aus dunklen Augen unter schwarzen Augenbrauen, die an den Seiten leicht aufwärts verliefen.
»Funktioniert die Klingel denn nicht?« Sie entschuldigte sich und rief im Gang nach oben: »Oswald! Jemand im Laden!«
»Gemütlicher Laden«, sagte Max, während er die Treppe hinunterstieg und sich umsah. »Aber du wohnst hier, du stöberst hier natürlich nie.«
»Mein Vater weiß meistens schon, was ich haben möchte.«
Sein Blick fiel auf einen Kunstband mit Farbabbildungen: die blendenden, mit Juwelen eingelegten goldenen Eier von Fabergé, die der Zar zu Ostern der Zarin zu schenken pflegte.
»Kennst du Fabergé?« fragte er ohne aufzublicken.
»Ist das ein Komponist?«
Die Art, wie sie sofort antwortete, überzeugte ihn davon, daß er auf dem richtigen Weg war.
»So was Ähnliches. Ein Goldschmied.«
Während er in dem Band blätterte, erschien der Buchhändler. Ein unauffälliger Mann Ende Vierzig, mit welligem, grau-blondem Haar, etwas kleiner als seine Frau; nur sein Mund hatte Ähnlichkeit mit dem seiner Tochter. Auch er entschuldigte sich, gerade noch habe die Klingel funktioniert. Max sagte, er wolle das Buch von Fabergé und das von Alma Mahler im Schaufenster.
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