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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Augenbrauen einen Blick auf Quinten.
    »Das ist mein Sohn, Mauro«, sagte Onno auf italienisch.
    »Quintilio.«
    Mauro gab ihm die Hand, ohne daß der ironische Ausdruck aus seiner Miene verschwand. Man sah, daß er es nur halb glaubte; dieser alte Sonderling hatte wahrscheinlich mit einem Lustknaben der Via Appia angebandelt – aber es sollte ihm gegönnt sein.
    »Jeder kennt mich hier nur als Signore Enrico«, sagte Onno, als Mauro wieder hineingegangen war. »Enrico Delius«, sagte er mit einer gewissen Scheu in der Stimme. »Sie glauben, ich sei ein Österreicher aus Tirol.«
    Quinten nickte mit einem Gesicht, als sei das alles selbstverständlich.
    »Mich hat er ziemlich komisch angeschaut, dein Mauro.« Er erzählte von den Avancen, die ihm in Venedig und Florenz gemacht worden waren, und Onno fragte ihn: »Und du hast in den Niederlanden keine große Liebe zurückgelassen?«
    »Nein«, sagte Quinten kurz angebunden.
    Das gab es nicht für ihn, und er wollte auch nicht darüber reden. Onno wollte ihn bestärken, es am besten auch weiterhin so zu halten, da jede Liebe unwiderruflich und immer der Anfang eines alles zerfetzenden Endes sei, aber er beschloß, Quinten mit seiner Niedergeschlagenheit zu verschonen. Sie gehörte nicht an den Anfang, sondern ans Ende eines Lebens. Schweigend betrachteten sie das Treiben auf dem Markt. Als der Ober ihnen Caff è Latte und Croissants brachte, sagte Onno:
    »Ich hätte auch mal wieder Lust auf Fleischkroketten.«
    »Mir schmeckt das hier besser. So sollte uns Oma mal beim Frühstück sehen.«
    »Hast du ihr schon gesagt, daß wir uns getroffen haben?«
    »Nein, ich habe überhaupt noch nichts von mir hören lassen.«
    »Vielleicht solltest du es vorläufig auch noch für dich behalten.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht –. Sonst erfahren es sofort auch deine Onkel und Tanten, und ich weiß nicht, ob ich das schon möchte.«
    Quinten nickte. Daß er mit seinem Vater ein Geheimnis teilte, gefiel ihm. Onno stützte sich auf die Knie und tunkte sein Croissant in den Kaffee. Plötzlich fragte er: »Was würdest du davon halten, bei mir einzuziehen? Ich weiß zwar nicht, wie lange du in Rom bleiben willst, aber es ist doch Unsinn, in einem Hotel zu wohnen, wo du doch genausogut bei mir bleiben kannst?« Und als Quinten ihn überrascht ansah: »Laß uns eine Campingliege kaufen, du holst deine Sachen, und dann ist auch dieses Problem schon wieder gelöst.«
    Auf Quintens Gesicht zeigte sich ein breites Lachen. Endlich war es soweit: Er wohnte bei seinem Vater!
    Quinten hatte Onno nie zuvor so lange ununterbrochen erlebt. Sie gingen nun jeden Tag zusammen in die Stadt. Als er zum ersten Mal auf den Petersplatz kam, traf ihn der Anblick des Obelisken, der im Mittelpunkt von Berninis umarmenden Säulengängen stand, mehr als die ehrfurchtgebietende Fassade des Petersdoms, die auch wieder an das Pantheon erinnerte.
    »Was sagst du dazu?« sagte Onno. »Ein ägyptischer Obelisk im Herzen des Christentums. Hier haben sie Petrus kopfüber gekreuzigt, im Zirkus von Nero. Ganz Rom ist voll von Obelisken.«
    »Vielleicht«, vermutete Quinten, »hat das etwas mit dem ägyptischen Exil zu tun, aus dem Moses die Juden geführt hat.«
    »Wer weiß?« lachte Onno. »Allerdings ist dieser Zusammenhang nur für den zu verstehen, der auf die gleiche, nicht nachvollziehbare Art denkt wie du.«
    Quinten sah den langen Schatten, den der Obelisk wie eine Sonnenuhr warf, und dann die unbeschriebenen Seitenflächen.
    »Es steht nichts drauf. Eigentlich solltest du etwas draufschreiben.«
    Onno betrachtete den glatten Granit, zeigte dann mit dem Stock auf die Spitze und folgte dann der Schrift Wort für Wort immer weiter nach unten:
    »Paut neteroe her resch sep sen ini Asar sa Heroe men ab maä kheroe sa Ast auau Asar. Das bedeutet –«
    »Das möchte ich gar nicht wissen. Dafür klingt es viel zu schön.«
    Auch für Onno war das alles wieder neu. Früher war er öfter in Rom gewesen, das letzte Mal als Staatssekretär; eskortiert von Polizisten auf Motorrädern hatte ihn ein Regierungswagen damals mit Blaulicht über alle roten Ampeln vom Flughafen zum Quirinal gebracht; aber seit er hier wohnte, hatte er sein Viertel nicht verlassen.
    In der riesigen Basilika von Sankt Peter half er Quinten beim Übersetzen der Wörter, die in der Kuppel in einem Kreis golden über dem Hochaltar prangten:
    TV ES PETRVS ET SVPER HANC PERTRAM
AEDIFICABO ECCLESIAM MEAM
    »Dort steht auf den ersten Blick: Du bist

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