Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
Petrus und auf diesem Petrus will ich meine Kirche bauen. Aber Petra ist ein griechisches Wort und bedeutet ›Fels‹. Das Grab von Petrus soll unter diesem Altar liegen, und darauf ist die Kirche gebaut, nicht nur dieses Gebäude, sondern die katholische Kirche im allgemeinen. Die Päpste betrachten sich als Nachfolger Petri.«
    Sie besuchten die Vatikanischen Museen und die wunderbare Sixtinische Kapelle, in der nur geflüstert werden durfte, die Kardinäle hinter ihrer Goldenen Mauer jedoch herumschrien und tobten, wenn sie aus ihrer Mitte einen neuen Papst wählen mußten. Beim Anblick von Michelangelos Erschaffung des Adam , die unter der dunkelbraunen Patina der Jahrhunderte in hellen Farben wieder zum Vorschein gekommen war, erinnerte sich Onno an die kommunistische Neonausführung auf der Rampa in Havanna vor achtzehn Jahren, als alles angefangen hatte, aber er verlor kein Wort darüber.
    »Glaubst du, daß Adam einen Nabel hatte?« fragte Quinten, als sie wieder ins Freie traten. »Er hatte doch keine Mutter?«
    »Nur gut, daß du kein holländischer Pfarrer bist. Wegen solcher Fragen haben sie sich jahrhundertelang verketzert.«
    Dank Quinten kam Onno an Orte, wo er noch nie gewesen war, und bald auch zum Aventin, »um durchs Schlüsselloch zu schauen«. In dem stillen Viertel, am Rand des steil zum Tiber abfallenden Hügels, lag eine rechteckige, auf drei Seiten von Mauern eingefaßte Verbreiterung der Straße, auf die Zypressen und Palmen ihre Schatten warfen. Als Platz konnte die Piazza de’ Cavalieri di Malta kaum bezeichnet werden und sah eher wie ein unvollendeter Tempel aus. Quinten lief sofort ein Schauer über den Rücken. Die Burg. Onno sah, daß ihn irgend etwas beschäftigte, fragte aber nicht nach, Quinten äußerte nur, daß es sich um einen Entwurf von Piranesi handele. Während sich Onno auf eine Bank setzte, weil ihm wieder ein Schwindelgefühl zu schaffen machte, ging Quinten die vier oder fünf Meter hohe Mauer entlang und warf einen kurzen Blick auf den Kompaß. Auf der langen Südseite und der kürzeren Westseite wurde die Mauer von Obelisken, Stelen, Reliefs und Ornamenten unterbrochen, deren Stil, oder besser Unstil, ihm vollkommen fremd vorkam. Lyren, Kugeln, Dreiecke, Helme, Kreuze, Schwerter, Flügel, Panflöten. Auf der Nordseite faßte die Mauer das Eingangsportal zum Kloster der Malteserritter ein und erinnerte ihn mit ihren manieristischen Ornamenten, den blinden, wie Fenster wirkenden Nischen und der Reihe großer Urnen auf dem Dach an Palladio, war jedoch auf den zweiten Blick genauso bizarr wie alles andere hier. Auch der geweihte Bereich des Klosters atmete die Atmosphäre der Carceri , die Herr Themaat ihm gezeigt hatte: Piranesis unendliche Kerker, die er aus seinem Traum kannte – nur daß jetzt alles in einem Rechteck gesperrt war. Er bückte sich und schaute durch das berühmte Schlüsselloch der Pforte. Genau auf der Achse einer langen, sorgsam gestutzten Lorbeerhecke war in der Fluchtlinie die Kuppel des Petersdoms zu sehen. Für viele Menschen, dachte er, ist das die Mitte der Welt.
    Er wollte seinem Vater winken, als er ihn jedoch so einsam und allein auf seinen Stock gestützt dasitzen sah wie einen obdachlosen Alkoholiker, der sich aus Mülleimern ernährte, hielt er sich zurück. Der verlassene Platz lag warm im diesigen Licht der Frühlingssonne. Das Schicksal hatte sie zwar zusammengeführt, aber nun, da er ihn endlich gefunden hatte, schien die Beziehung zu den Steinen Roms stärker als die zu seinem Vater. Auch abends, in der Via del Pellegrino, sprachen sie wenig, und nie über frühere Zeiten, die sich irgendwie auf der anderen Seite einer Mauer befanden, über die keiner von ihnen springen wollte. Trotzdem war sich Quinten ganz sicher, daß sie zusammenbleiben sollten: zwei Partner, die einander ausgeliefert waren.
    Sie sahen sich an. Er hat etwas Unerbittliches, der Junge, dachte Onno. Etwas Unmenschliches. Eine Art interstellarer Kälte.

    Auf der Piazza Venezia regelte ein Polizist mit weißem Helm den Verkehr mit einer so faszinierenden Motorik, daß Onno an seine Theorie über die Körperlichkeit der Macht erinnert wurde. Um sich von dem Verkehr nicht einschüchtern zu lassen, hob er am Bordstein seinen knorrigen Stock und bahnte sich lachend den Weg durch die vorbeirasenden Autos wie durch eine flüchtende Herde trompetender Elefanten. Einige Minuten später stiegen sie auf das Forum Romanum hinunter wie in eine stille Grube der

Weitere Kostenlose Bücher