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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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keinen Ansatz fand. Dann bin ich in die Politik gegangen, um eine Ausrede zu haben, weshalb ich an diesem Diskos nicht weiterarbeitete. Aber in der Politik lief es auch nicht gut, und als Tante Helga starb, sah ich überhaupt keine Perspektive mehr. Aber das habe ich euch ja alles geschrieben. Ich wollte für immer weg – aber wohin? Damals dachte ich: Ich bin wieder an meinem Ausgangspunkt, also werde ich mir nie wieder etwas vornehmen, ganz sicher war ich mir aber nie. Endgültig ist ohnehin nichts im Leben, wenn man vom Tod mal absieht – das kannst du jetzt einmal mehr sehen. Also habe ich gedacht: Wenn ich jemals noch etwas tue, dann mache ich da weiter, wo ich aufgehört habe, beim Diskos. Diese Schrift war immer noch nicht entziffert. Meine alten Aufzeichnungen waren das einzige, was ich aus Amsterdam mitgenommen hatte, obwohl ich sie kaum noch verstand. Und da ich ja irgendwo hinmußte, bestimmte das auch mein Ziel. Also Rom. Nirgends findet man auf diesem Gebiet so viel Material wie hier.
    In London vielleicht noch, aber da regnet es mir zuviel.«
    »Das hätte mir immerhin auch einfallen können!« rief Quinten, »Ich habe nur an Kreta gedacht.«
    Onno sah ihn an.
    »Wolltest du mich suchen?«
    »Ja, sicher. Wundert dich das?«
    Onno schlug die Augen nieder. Irgendwie mußte er all die Jahre benommen gewesen sein, wie ein Boxer, der in den Seilen hing und von seinem Gegner auch dann noch traktiert wurde, wenn der Ringrichter bereits dazwischenging. Den Gedanken an Quinten hatte er nie wirklich zugelassen. Von Anfang an hatte er sich weisgemacht, daß der Junge zwar sein und Adas leiblicher Sohn war, im Grunde aber doch eher das Kind von Max und Sophia. Was für ein Irrtum! Was für eine abenteuerliche Lüge! Von Minute zu Minute schien es, als ob wie von einem Croûte mehr und mehr Krusten von ihm abfielen.
    »Nein, es wundert mich nicht.« Er sah ihn wieder an. »Warst du bei Giltay Veth?«
    »Natürlich. Aber da bin ich auch keinen Schritt weitergekommen.«
    Onno schwieg eine Weile, zwang sich dann aber zu sagen: »Verzeihst du mir, Quinten?«
    Quinten sah ihn mit seinen azurblauen Augen unverwandt an.
    »Ich habe dir nichts zu verzeihen.«
    Es kam Onno vor, als säße er seinem Vater gegenüber, als sei sein eigener Sohn ihm überlegen.
    »Ich habe dir gerade erzählt, was möglicherweise der Grund für meinen Schlaganfall war«, fuhr er fort. »Meine linguistischen Notizen lagen irgendwo in meinem Zimmer vergraben, und ich habe mich nie mehr darum gekümmert, aber vor etwa anderthalb Jahren ging ich auf den Markt auf dem Platz um die Ecke, um mir etwas zu essen zu besorgen. Ich kaufte ein Stück San Pietro, ich hab es noch genau vor mir, wie die Fischfrau den Fisch mit roten, geschwollenen Händen in eine Zeitung wickelte. Seit ich aus Holland weg war, hatte ich keine Zeitung mehr gelesen, aber als ich den Fisch auspackte, sah ich plötzlich meinen eigenen Namen, Qiuts geschrieben.
    Wenn du einmal so berühmt bist und in der Zeitung stehst, wirst du es sehen: es ist, als ob die Buchstaben deines Namens dir vom Papier aus direkt in die Augen sprängen. Der Bericht handelte von meinem früheren Konkurrenten Pellegrini, der hier in Rom Professor war und nie etwas von meiner etruskischen Theorie gehalten hat. Er hatte seinerzeit sogar Briefe nach Uppsala geschrieben, um mein Ehrendoktorat zu verhindern, wie ich vom Rektor dort erfuhr. Und jetzt las ich, daß er auf seine alten Tage seinen Sohn in dessen neuem Landhaus in der Toskana irgendwo bei Arezzo besuchte, im Garten spazierenging und plötzlich im Boden versank. Und, was glaubst du? Er war in eine etruskische Grabkammer gefallen.
    Er hatte sich die Hüfte gebrochen, aber das erste, was er auf einer Stele sah, war eine neue Bilingue – ein und derselbe Text in zwei Sprachen, in diesem Fall Etruskisch und Phönizisch!
    Die Bilingue bewies, daß il professore islandese Qiuts sich auf alle Fälle geirrt hatte. Damit war nun gar nichts mehr von meinem Leben übrig.«
    »Außer mir ja wohl.«
    »Ja«, sagte Onno und wandte die Augen ab. »Außer dir natürlich. Aber sonst nichts. Und klar war auch, daß mich in meinem Fach niemand mehr ernst nehmen würde, wenn ich nun mit einer Lösung für den Diskos von Phaistos angekommen wäre. Meine Aufzeichnungen habe ich damals alle weggeworfen, Hunderte von Seiten, die Arbeit von Jahren. Am meisten hatte mich eine beiläufige Bemerkung Pellegrinis schockiert. Als der Journalist ihn fragte, warum denn in Gottes

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