Die Entdeckung des Himmels
als sie gemerkt hatten, in welche Konferenz sie geraten waren. Auf der Insel war nicht nur Quinten gezeugt, sondern auch der Keim seines eigenen politischen Untergangs gelegt worden. Das Gesicht von Koos auf dem Schiff nach Enkhuizen: »Wie dumm bist du eigentlich, Onno?« Am selben Tag der Tod von Helga – Ada. Und auch Quinten dachte an Max, der so vollkommen aus der Welt verschwunden war, als wäre er nie dagewesen.
Sein leerer Sarg in der Erde. Seine Mutter »Vielleicht«, flüsterte Onno, »ist es, weil es hier so dunkel und still ist, aber ich muß ständig an deine arme Mutter denken.«
»Ich auch.«
»Weißt du noch, wie wir sie zusammen besucht haben?«
»Natürlich. Wir wurden von der Polizei verfolgt.«
»Ja, ich kann mich vage an so etwas erinnern.«
Quinten zögerte, aber kurz darauf sagte er trotzdem: »Am selben Abend hatte ich zum ersten Mal einen ganz phantastischen Traum.«
»Weißt du das auch noch? Das ist fast zehn Jahre her.«
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich fast nie etwas vergesse.«
»Was hast du denn geträumt?«
»Das sage ich nicht«, sagte Quinten und wandte den Kopf zur Seite. »Etwas mit einem Gebäude.« – Die Mitte der Welt.
Er dachte an die Todesangst, mit der er aufgewacht war, nachdem er die ruhige, heisere Stimme gehört hatte, wie er sich dann ratlos in einer ähnlichen Finsternis und Stille vorangetastet hatte wie der, in der er sich jetzt befand – doch obwohl er jetzt nicht träumte, und obwohl alles hier mit diesem Traum zu tun hatte, verspürte er von Angst keine Spur. »Nur ganz zum Schluß wurde es plötzlich ein Alptraum. Ich wußte überhaupt nicht mehr, wo ich war, ich fing, glaube ich, an zu schreien, und erst als Oma aus Max’ Schlafzimmer kam und das Licht anmachte, sah ich, daß ich auf der Schwelle zu ihrem Zimmer stand.«
Onno stockte der Atem. Sophia kam nachts aus Max’ Schlafzimmer? Was hatte das denn zu bedeuten? Er hatte das Gefühl, daß er eigentlich nicht danach fragen durfte, aber er konnte es sich nicht verkneifen:
»Schliefen Max und Oma denn im selben Zimmer?«
»Davon habe ich nie etwas bemerkt. Vielleicht haben sie sich noch kurz unterhalten, was geht mich das an. Sei mal still –«
Weit entfernt erklang eine leise, singende Stimme: Wahrscheinlich las im Refektorium ein Pater einen erbaulichen Text vor, während die anderen schweigend einen Apfel und ein Ei aßen und nicht zuhörten.
Am liebsten hätte Onno noch gefragt, was Sophia in der Nacht angehabt hatte, aber er wußte genug. Dieser Dreckfink.
Natürlich. Er schreckte vor nichts zurück – nicht einmal vor dieser kühlen, um tausend Jahre älteren Sophia Brons. Wie hatte er je etwas anderes annehmen können! Aber hatte er denn etwas anderes angenommen? Er hatte nie anders darüber denken wollen , weil er natürlich vermutet hatte, daß zwischen den beiden etwas war in den langen Nächten auf diesem einsamen Schloß, aber er hatte es sich nicht eingestehen wollen. Warum eigentlich nicht? War denn dagegen etwas einzuwenden? Weil Max’ Angebot, seinen Sohn bei sich aufzunehmen, eine Tat purer, selbstaufopfernder Freundschaft zu sein hatte? Wie rein waren denn seine eigenen Motive, wenn es darauf ankam? Seine Schwiegermutter war also – ohne daß jemand darüber Bescheid wußte – im Alter von zweiundsechzig Jahren zum zweiten Mal Witwe geworden.
»Wenn wir hier jemals lebend herauskommen«, flüsterte er, »müssen wir uns sofort mit deiner Großmutter in Verbindung setzen.«
»Meinetwegen«, sagte Quinten gleichgültig.
Alles, was nach dem Sancta Sanctorum kam, lag vor ihm wie die andere Seite eines Bergs, von dem er jetzt nur den Gipfel sehen konnte: dahinter konnte das Meer sein oder eine Stadt oder Wüste oder ein nebliger Abgrund. Er hatte das Gefühl, als ob bisher alles er getan hätte und das wichtigste in den nächsten paar Stunden noch tun mußte – danach, das wußte er ganz sicher, würden die Ereignisse ihren Lauf nehmen, und er würde schon sehen, wohin es ihn verschlug.
Langsam dämmerte er weg, während zugleich seinen Ohren nichts entging, wie einem schlafenden Hund »Quinten?«
»Ja?« Er sah auf die phosphoreszierende Kinderuhr, die er gestern für ein paar tausend Lire gekauft hatte, mit einer hin- und herwackelnden Mickymaus als Sekundenzeiger. Es war fast neun Uhr.
»Hast du geschlafen?«
»Ein bißchen.«
»Du bist vollkommen ruhig, stimmt’s? Dir kann nichts passieren.«
»Ich glaube nicht.«
»Ich wollte, daß ich das auch von
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