Die Entdeckung des Himmels
Zeichnung bei sich habe, bat der Zeichner um Papier und Bleistift und zeichnete in einem Strich einen Hahn, woraufh in der dumme Kaiser so wütend wurde, daß er die Zeichnung zerriß und den Zeichner köpfen ließ.
Der niedrige, schmale Gang, die anderthalb Jahrtausende alte Verbindung zum ehemaligen päpstlichen Palast, schien am Ende in den hohen, viereckigen Raum der gotischen Kapelle aufzuschießen. Ohne sich umzusehen, ging Quinten zum Altar und kniete sich mit seinem Werkzeug davor. Onno folgte ihm mit der Taschenlampe, und obwohl er keinen Alkohol getrunken hatte, bekam er allmählich das Gefühl, benebelt zu sein. Non est in toto sanctior orbe locus. Was vor seinen Augen geschah, ging so entschieden zu weit, daß er es kaum fassen konnte. Vermutlich träumte er. Anders als die Patres befand er sich im Stadium des paradoxalen Schlafes: gleich würde er schweißgebadet aufwachen, Edgar würde auf dem Fensterbrett sitzen, und die Sonne würde aufgegangen sein über Rom und einem neuen warmen Tag voller Politik, Tourismus und was sonst noch alles vierundzwanzig Stunden später bis in alle Ewigkeit vergessen sein würde. Er schaute sich kurz um und sah das Gitterfenster jetzt von innen in dem Dämmerlicht, das durch die ebenerdigen Fenster über die Heilige Treppe nach oben drang.
»Halt die Taschenlampe ruhig«, befahl Quinten flüsternd.
Die Eingangstür zur Kapelle wurde vermutlich noch regelmäßig benutzt, aber die Schlösser der vergitterten Türen vor dem Altar waren seit 1905 nicht mehr geöffnet worden.
Sie hatten noch gut zehn Minuten für die erste Phase, aber er brauchte sich zur Ruhe nicht zu zwingen, er war die Ruhe selbst. Er hatte erkannt, daß die beiden unteren Hängeschlösser, die nicht größer als eine Hand waren, ganz konventionell gebaut und nur gegen Gewalt, nicht aber gegen Überlegung beständig waren: aus den fünf einfachen Dietrichen, die er bei einem Schmied hinter dem Pantheon hatte anfertigen lassen, zog er gleich den richtigen. Ohne große Anstrengung sprangen die Schlösser auf, die offenbar in den Tagen Grisars gereinigt worden waren, und das gleiche würde wohl auch für das monströse Schiebehängeschloß gelten. Zum ersten Mal sah er es jetzt von nahem. Er lächelte und dachte: So ein Engel.
Es verriegelte eine schwere Eisenstange, die über die gesamte Breite das Öffnen der Gittertüren unmöglich machte. Einige Minuten später, nach einem leichten Schlag mit dem Gummihammer, hatte auch dieses Exemplar kapituliert.
Mit einer kleinen Plastikpumpe spritzte er rasch noch etwas Öl in die vier Scharniere, steckte das Werkzeug in den Rucksack und stellte ihn neben den Altar.
»Hilf mir mal«, flüsterte er.
Onno legte den Stock auf den päpstlichen Gebetsstuhl, und dann schoben sie die Stange vorsichtig aus den beiden Ringen und legten sie behutsam auf die ausgetretene Marmorstufe, auf der über tausend Jahre hinweg die Päpste täglich die Messe gelesen hatten.
Quinten sah auf die Uhr.
»Fünf nach halb elf. Es ist Zeit.«
Nachdem Quinten die Schlösser der Eingangstür provisorisch wieder eingehängt hatte, ging er in die Kapelle zurück, legte sich auf eine Chorbank gegenüber dem Altar und spürte sofort, wie er in den Schlaf sank Die rotbraune Wand, auf Leseabstand vor seinen Augen, ist in der Mitte etwas dunkler, so daß sie aussieht wie ein Tunnel. Kurz darauf kringelt sich dort ein kleines violettes Knäuel, ein rotierendes Wollknäuel, das nicht größer ist als eine Murmel; dann wird es für einen Augenblick zu der akkurat gezeichneten Schnauze eines Affen, ist ebenfalls ganz klein und sofort wieder verschwunden, während zugleich ein kleiner Strudel auftaucht, der sich rasch zu einem kleinen Monstermaul mit scharfen Zähnen entwickelt und wieder so exakt radiert ist. Auch im Halbschlaf ist er voll bei Bewußtsein, gebannt beobachtet er das, was sich da vor seinen Augen entrollt: wie es sich verflüchtigt und von einem Fisch ersetzt wird, von einem Frauengesicht mit wirrem Haar, einem komischen Schwein, einer Katze, einem Topf, einem Mann mit zerfurchter Stirn und einem Bart, alles jedesmal haarscharf wie auf einem Bild. Woher kommt das alles? Er phantasiert nicht, er hat diese Dinge so noch nie zuvor gesehen und keine Ahnung, was als nächstes erscheinen wird. Gab es sie schon, bevor er sie sah? Gibt es sie noch, wenn er sie nicht mehr sieht? Sie erinnern ihn an Gemälde von Hieronymus Bosch, der sich also auch nichts ausgedacht, sondern alles nur genau
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