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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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für immer in sein Gedächtnis ein: sein Vater auf einem Stuhl stehend vor dem Weihnachtsbaum, in seiner Hand der glitzernde Stern für die Spitze und in seinen leuchtendblauen Augen, die aus unermeßlicher Höhe auf ihn herabsahen, ein Blick, so kalt wie flüssige Luft –.
    Im Portal vor seiner Haustür tastete er in seiner Tasche nach dem Wohnungsschlüssel und erinnerte sich, ihn Ada gegeben zu haben. Er ging zwei Stufen hinunter und hob den halben Ziegelstein hoch. In der dunklen Mulde lag der glänzende Schlüssel, genauso wie Ada jetzt oben in seinem Bett.

11
Der Prozeß
    Ada war mehrmals halb aufgewacht, auch als Max sich neben sie legte, und als die Sonne bereits auf die Vorhänge schien, verstrickte sie sich in einen komplizierten Traum: Auf der Rückbank eines Autos liegt ein alter, abgemagerter Mann in ihren Armen, an ihrer Wange spürt sie seinen weißen Stoppelbart. Sie versucht, ihn von sich wegzuschieben, aber das Problem dabei ist, daß der oberste Knopf seines zerknitterten Regenmantels ein Knopf vom Mantel des Mörders ist, und zugleich der Knopf ihres eigenen Mantels. Sie muß in den Kerker, der unter dem Saturnusplatz liegt; wer den Platz kennt, kann sich das aus der Form des Kerkers schnell zusammenreimen. In einem großen, finsteren Raum voller Treppen, Hängebrücken, Gewölbe, Balustraden, herabhängender Kabel und Ketten wird sie in einen Käfig aus Holzlatten gesteckt, und dann ist plötzlich das Tribunal da. Der Oberrichter in der Mitte zeigt ihr ein rechteckiges, silbernes Medaillon, oder vielleicht ist es eine Schachtel mit einem Kleinod, kurz darauf stimmt eine Gruppe frommer Juden in Gebetskleidung ein Klagelied an. Religiöse Verwirrung macht sich breit. Auf einmal hat sie ein Glas Champagner in der Hand, und ein segnender Priester in seinem Habit denkt, daß das zum Gottesdienst gehört; dann muß sie eine lange, steile Treppe hinauf, aber aus irgendeinem Grund kommt sie auf den Stufen nicht voran. Als sie sich umdreht, sieht sie, wie sich eine alte Frau in Buddhahaltung auf einer diagonalen Bahn durch den Raum bewegt, schwebend vielleicht, und zum soundsovielten Mal über die Geheimnisse der Vergangenheit spricht …
    Sie wachte von Max’ streichelnder Hand auf ihrem Bauch auf. Er hatte eine Erektion, schlief aber noch halb: die Erektion zählte also nicht, er hätte sie auch ohne sie gehabt. Er stöhnte.
    »Zuerst Kaffee kochen«, sagte sie und sah auf die Uhr. »Du, es ist gleich halb zehn, mußt du nicht nach Leiden?«
    »Ich nehme mir heute vormittag frei.«
    Sie zog die Vorhänge auf und ging nackt in die kleine Küche. Über die Baumwipfel schien die Morgensonne herein, unten im Park hatte ein Jogger eine Ferse auf die Rückenlehne einer Bank gelegt und versuchte, sich selbst entzweizubrechen.
    Der Duft von Kaffee und geröstetem Brot, Vogelstimmen in den Bäumen, von fern das Rauschen des Verkehrs. Alles war in Ordnung. Max schaltete das Radio ein, um Nachrichten zu hören, dann hörte sie ihn telefonieren, mit der Sternwarte vermutlich. Gleich würde er sie nach Leiden fahren und sie ihn einige Tage wieder nur während der Mittagspause sehen. Jedesmal, wenn er mit dem Auto um die Ecke verschwunden war, bekam sie das Gefühl, als sei er nie dagewesen und würde auch nie wieder dasein – aber wo lag der Ursprung dieses Gefühls der Abwesenheit: in ihm oder in ihr?
    Als sie mit dem Frühstück ins Zimmer kam, saß er im Schneidersitz auf dem Bett, was sie vage an das erinnerte, das sie geträumt hatte, aber sie konnte es nicht mehr rekonstruieren. Schnell wie einen Windstoß sah sie seinen Blick über ihren Körper gleiten, erst da wurde ihr klar, daß sie so nackt war wie er; aber sogar nackt kam er ihr immer noch besser gekleidet vor, als sie es je sein würde. Er hatte eine athletische Figur, die nirgends durch Sport oder andere Arten von Gewalteinwirkung zu Proportionen verzerrt war, die den Frauen imponieren sollten, jedoch nur Männer beeindruckten, und seine Haut war so weich und samtig wie die eines Kindes.
    Mit gekreuzten Beinen saßen sie mit dem Tablett zwischen sich einander gegenüber auf dem Bett und schmierten Marmeladenbrote, bissen in Toast, tranken Kaffee, löffelten Eier, während er ab und zu auf selbstverständliche Weise seine Hand auf ihre Vagina legte, als gehöre das zu den Handlungen des Frühstücks. Die Erektion, die er allmählich bekam, gefiel ihr besser als die vorige, obwohl sie sich auch diesmal wieder über die Abmessungen wunderte, die die

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