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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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den Greueltaten des jakobinischen Terrors sprach. Noch vor zwei Monaten ist mir dieser Satz mitnichten eingefallen, und daß das jetzt geschieht, mit diesem ominösen Imperfekt, ist natürlich ein Zeichen, daß sich etwas verändert. Ich sehe ihn wegen meiner politischen Arbeit viel weniger, aber vielleicht ist es auch ein bißchen umgekehrt, wenn du verstehst, was ich meine. Na, die alte Geschichte, nichts Besonderes: auf Aktion folgt Reflexion, auf die Liebe folgt die Ehe. Wir werden ewig gute Freunde bleiben – obwohl mir dieser Schuft die Freundin ausgespannt hat.«
    »Deine Freundin ausgespannt?« wiederholte Ada, eher erschrocken als erstaunt. »Und du hast gesagt, es sei nichts Unangenehmes passiert. Wann war das denn?«
    Onno lachte und sagte, daß es immer besser sei, ihn nicht allzu wörtlich zu nehmen. Amüsiert erzählte er von seinem Verhältnis mit Helga, dem Max ein Ende gesetzt hatte, indem er einen Freund von der Straße mimte. Eigentlich sei es natürlich ein großes Drama gewesen. Es sei wie bei dem Theaterstück im Hamlet , sagte er, the play within the play , in dem der König mit seinem Verbrechen konfrontiert werde, freilich mit dem Unterschied, daß es bei Shakespeare von einem listigen Stiefsohn vorsätzlich inszeniert worden sei, Max aber aus verspielter Unschuld gehandelt habe.
    »Und wer räumt dir jetzt das Zimmer auf?«
    »Niemand«, sagte Onno mit komisch erstickter Stimme und verzog das Gesicht, als würde er sogleich anfangen zu schluchzen. »Niemand. Ich bin allein, ganz allein auf der Welt.«
    »Armer Junge«, sagte Ada mit einem Lachen. »Soll ich vielleicht mal dein Zimmer aufräumen?«
    »Ja, mein Fräulein«, nickte Onno auf eine Weise, die in Kinderbüchern früher mit ›eifrig‹ beschrieben wurde, »gerne, Fräulein.«
    »Wollen wir gehen?«
    Forschend sah er auf.
    »Meinst du das immer noch im Scherz?«
    »Ganz und gar nicht. Ich möchte sehen, wie du lebst, ich habe so viel von dir gehört …«
    »Max hat auch nie gesehen, wie ich lebe, oder besser: nicht lebe.«
    »Ich bin nicht Max.«
    Sie sahen sich an. Alles veränderte sich plötzlich – wie ein umstürzender Baum, mit Wurzeln, die aus der Erde gerissen wurden und voller krabbelndem Ungeziefer waren. Nein, sie war nicht Max, und auch er war nicht Max, und zugleich war sie doch Max, und er auch.

    Während Max in Polen trauernd sein Rechteck um das Megaschafott abschritt, war Ada sprachlos über das, was sie plötzlich anrichtete, und Onno über das, was er geschehen ließ. Er schleppte ihr Cello über den Museumplein und sagte, er verstehe jetzt endlich, warum Max Schluß gemacht habe. Durch den Tunnel des Rijksmuseums gingen sie zur Kerk straat. Onno ging die vier Stufen zum Souterrain hinunter, öffnete die Tür des früheren Lieferanteneingangs und ließ sie ein.
    »Das ist wirklich absolut unmöglich«, sagte er, während er ihr über die gesprungenen Marmorplatten in den dunklen Flur vorausging. Eine der Wände wurde fast völlig von gestapelten roten und grünen Petroleumdosen verdeckt.
    »Wieso das denn? Hat dir deine Vermieterin vielleicht Damenbesuch untersagt?«
    »Meine Vermieterin ist selbst ein unbeschreibliches Lotterweib. Nachts muß ich immer die Tür abschließen.«
    »Du tust ja gerade so, als hätte ich dich gefragt, mit mir ins Bett zu steigen.«
    »Ist das denn nicht der Fall?«
    »Vielleicht doch, ja«, sagte Ada zu ihrer eigenen Verwunderung.
    Onno blieb stehen und verdrehte die Augen gen Himmel.
    »Was brauchen wir da noch Zeugen? Hier ist der endgültige Beweis der abgrundtiefen Sittenlosigkeit der Frau als solcher! Offenbar kann nicht einmal das Wunder der Musik etwas dagegen ausrichten.«
    Ada hörte sich selbst reden, locker, weltgewandt: sie erkannte sich kaum wieder; es war, als sähe sie sich selbst im Königsgewand im Spiegel. Sie spürte, daß sie Herrin der Lage war – sie, die Provinzielle aus Leiden, hier in Amsterdam bei einem international renommierten Wissenschaftler aus bester Familie. Sie fühlte sich ihm überlegen. Bei Max war sie nie dominierend gewesen, nicht einmal der Gedanke daran wäre ihr gekommen; Max hatte sie gütigerweise geduldet wie eine Katze auf dem Schoß, die irgendwann mit einer sanften Bewegung weggeschoben wird. Aber jetzt hatte die Katze einen Vogel im Maul.
    Auf der Schwelle zu Onnos Zimmer stockte sie. Es war in der Tat besser, daß Max dieses Chaos nie zu sehen bekommen hatte. Unter einem schmalen Fenster, durch das die Passanten auf dem Gehsteig

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