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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Mögliche Akkusativa. Orthographische Varianten. Konsonant 2c vor 24? Verteilt über die Spalten waren Schriftzeichen, und zwar offenbar nicht nur die des Diskos von Phaistos, manche Gruppen waren mit roter oder grüner Tinte umrandet oder mit Randbemerkungen versehen, alles sorgfältig beschriftet und übersichtlich. Auf dem zerknautschten Kopfk issen lag Machiavellis Il principe; das Fenster ging auf einen dunklen, gepflasterten Innenhof.
    Ada hob einige Kleidungsstücke auf und fragte:
    »Hast du eine Waschmaschine?«
    »Oben steht eine, die ich benutzen darf, aber ich fürchte mich vor diesem Ungetüm. Das ganze Haus dröhnt, wenn sie läuft, und manchmal geht sie sogar in der Küche spazieren.«
    »Gibt es einen Staubsauger, Eimer und Putzzeug oder so was? Eventuell sogar Seife?«
    »Sag mal, wolltest du hier wirklich aufräumen? Bist du so ein Herkules?«
    »Du gehst jetzt besser für ein paar Stunden in die Stadt.«
    »Na, meinetwegen.« Er küßte sie auf die Stirn. »Aber nichts anfassen!«
14
Rückvergütung
    Wer von einer Reise zurückkehrt, trägt die zurückgelegten Strecken noch mit sich wie ausgebreitete Flügel – bis er den Schlüssel in das Schloß der Wohnungstür steckt. In dem Augenblick, in dem er die Tür hinter sich schließt, kann er sich nicht mehr vorstellen, je weggewesen zu sein. Alles ist so, wie es war: der Flur, die Treppe, das Geländer. Max sammelte die Zeitungen und die Post ein und ging langsam zu seinem Appartement hinauf. Er öffnete die Fenster, packte seinen Koffer aus, legte die Wäsche in den Korb und duschte sich. Dann sah er die Post durch, sortierte die Zeitungen zu einem chronologischen Stapel, die Ausgabe vom Tag seiner Abfahrt obenauf, und begann ungeduldig darin zu blättern. Nur in Wien hatte er westliche Zeitungen bekommen; ansonsten war ihm nie der Gedanke gekommen, daß es neue Nachrichten geben müsse.
    Aber nachdem er die erste Woche durchgesehen hatte, interessierte es ihn nicht mehr: was geschehen war, war geschehen.
    Allerdings wußte er, daß er jetzt noch jahrelang Leute am Leben glaubte, die im Laufe dieser Wochen gestorben waren.
    Er nahm das Telefon auf den Schoß und begann Onnos Nummer zu wählen, aber bei der vierten Ziffer hielt er inne.
    Plötzlich wußte er sie nicht mehr. Er legte den Hörer hin und stierte vor sich hin: er hatte die Wahl zwischen drei oder vier Ziffern. Hunderte Male hatte er sie gewählt, aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sie beschämt herauszusuchen.
    Offenbar war er müder, als er dachte. »Quist.«
    »Onno, hier Max.«
    »Max! Seit wann bist du wieder da?«
    »Ich bin gerade aus Budapest zurückgekommen.« Die Zeit zwischen dem Augenblick, in dem er selbst »Max« gesagt hatte, und dem, da Onno »Max« rief, dauerte den Bruchteil einer Sekunde länger, als er erwartet hatte, ein winziges Zögern: irgend etwas war passiert.
    »Was machst du jetzt? Legst du dich hin?«
    »Bist du verrückt? Ich bin geflogen. Komm doch vorbei.«
    Als Onno eine halbe Stunde später in dem grünen Chesterfield-Sessel Platz nahm, war wieder etwas Unsicheres in seinem Verhalten, aber Max fand nicht, daß er ihn darauf ansprechen sollte wie eine sorgende Mutter, der nichts entging.
    Während er von seiner Reise berichtete, schien es ihm ab und zu, als erzähle er einen Traum. Noch am selben Vormittag war er von seinem Hotel an der Lenin Körút aus zum Parlamentsgebäude gegangen, um von dort einen letzten Blick auf die Donau und den alten Burghügel am anderen Ufer zu werfen mit seinen Palästen und Kirchen und Zitadellen – auf das ungeheuerliche Europa , das er auch in Wien und in Prag gesehen hatte und das ihm ebenso fremd und vertraut war wie der österreichische Akzent, den er dort überall gehört hatte.
    Während er von seinen Tagen in Berlin und in den polnischen Städten erzählte, konnte er sich kaum vorstellen, daß er tatsächlich dort gewesen war. Birkenau erschien vor seinen Augen, ohne jede Regung, im Nebel. Er wollte von seinem stundenlangen Rundgang um das Lager erzählen, verstummte aber plötzlich.
    »Du bist niedergeschlagen.«
    Max nickte und sah auf seine Fingernägel.
    »Du hattest auf alle Fälle recht, es war richtig zu fahren. Nur haben sich meine Bande zu den Niederlanden dadurch nicht gerade gefestigt.«
    »Könntest du dort wohnen?«
    »Unsinn. Ich bin hier geboren, Niederländisch ist meine Sprache, hier bin ich aufgewachsen, und hier habe ich meine Freunde. Und meine Freundinnen, nicht zu vergessen. Aber

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