Die Entdeckung des Himmels
das wäre nicht das größte Problem, und schon gar nicht in Wien oder Budapest. Was das angeht, so fehlt es einem da an nichts.«
»Ja, ja«, sagte Onno, »verschone mich damit.«
»Übrigens, in Wien habe ich einen Delius im Telefonbuch gefunden.«
»Und den hast du dann nicht angerufen.«
»Genau.«
Onno nickte. Er fühlte sich unbehaglich, und nach kurzem Schweigen erkundigte er sich nach Max’ Eindruck von der Situation hinter dem Eisernen Vorhang.
»Wie meinst du?«
»Wie meinst du ›Wie meinst du‹?«
»Wie meinst du, wie meinst du, wie meinst du? Ja, was möchtest du, daß ich sage? Große Sowjetsterne an den Gebäuden, Standbilder von Lenin, Bilder von allen möglichen Stammesoberhäuptern, Transparente mit Sprüchen, die ein Polyglott wie du lesen kann, aber ich nicht. Alles ärmlich und schmuddelig, überall ein fürchterlich arrogantes bürokratisches Getue, wie bei uns auf dem Standesamt oder dem Postamt oder beim Arbeitsamt.«
»Das natürliche Element des Beamtentums ist die Diktatur«, sagte Onno zustimmend. »In einer Diktatur ist jeder Beamter.«
»In Prag hat niemand was von Kafk a gehört, und zugleich sind die Leute viel freundlicher als hier. Es wird sicher auch eine Menge Gutes unterdrückt, nehme ich an, vermutlich aber auch eine ganze Menge Schlechtes.«
»Also soll es lieber so bleiben?«
»Solche Dinge mußt du mich nicht fragen. Der Faschismus hat auf jeden Fall nicht die geringste Chance, meine ich, und das ist die Hauptsache. Der Rest ist Luxus.«
»Der Stalinismus auch?«
»Worauf willst du hinaus, Onno? Die großen Gauner waren Hitler und Mussolini, und die wurden von Churchill, Roosevelt und Stalin aus der Welt geschafft. So sehe ich das.«
»Das befürchte ich auch.«
»O. k.«, sagte Max. »Ich verstehe sehr gut, wohin du mich haben willst, aber jetzt werde ich dich einmal testen. Gott ruft dich an seinen Thron und sagt: ›Mein Sohn, ich habe beschlossen, daß die Welt für immer und ewig im Geiste Hitlers oder im Geiste Stalins regiert werden soll. Du mußt entscheiden, welcher der beiden es werden soll – mit der besonderen Maßgabe, daß es, wenn du nicht zwischen diesen zwei Gaunern wählen willst oder dich weigerst, dich auf solche unmoralischen Spielchen einzulassen, dann auf jeden Fall Hitler wird.‹ Was wirst du sagen?«
»Dann sagst du also ›Stalin‹«, sagte Onno.
»Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.«
»Und warum zögerst du nicht?«
»Weil Stalin die Unmenschlichkeit des Rationalismus vertritt und Hitler die des Irrationalismus. Und meiner Art zufolge stehe ich auf der Seite des Rationalismus. Hitler war ein unberechenbarer Irrer, aber Stalin rechnete alles aus, war also auch selbst berechenbar.«
»Glaubst du das wirklich? Was für ein Kind du doch bist.
Kein Wunder, daß alle Frauen auf dich fliegen. Worin lag denn wohl der Unterschied bei ihren Opfern? Stirbt es sich vielleicht besser im Dienste der Vernunft?«
»Nein, für das Individuum macht das keinen Unterschied.
Jeder stirbt seinen eigenen einzigartigen Tod.«
Onno sah ihn länger an.
»Soll ich dir mal was sagen? Du bist gar nicht im Ostblock gewesen. Du bist ausschließlich in Hitlers großdeutschem Reich gewesen, und dann vielleicht noch in Franz Josephs Doppelmonarchie.«
Max lächelte.
»Laß es uns mal so sagen, daß ich die Kontinuität der Geschichte vertrete. Und man stellt fest, daß du keine Antwort auf Gottes Frage gegeben hast. Der Stalinismus wird verschwinden, und die Welt wird für immer im Geiste Hitlers regiert werden. Das Ende der Kultur ist in Sicht. Zwischen uns tut sich eine Schlucht auf.«
»Vielleicht gibt es doch noch eine dritte Möglichkeit.«
»Darüber hat Gott nichts gesagt.«
Onno nickte.
»Vielleicht wäre es vernünftiger, dieses Gespräch zu beenden.«
Es lag etwas in seinem Ton, das es auch Max geraten sein ließ.
»O. k. Aber einen Cuba-Libre trinkst du ja hoffentlich noch?« Er stand auf, um ihm einzuschenken. »Erzähl, was hast du getrieben?«
Onno nahm ein Bein vom anderen und schlug sie umgekehrt wieder übereinander.
»Ich drücke meinen unauslöschlichen Stempel auf die vaterländische Politik. Wir sind dabei, eine Strategie zu entwerfen, um auf dem Parteikongreß für die Anerkennung der DDR zu werben. Das wird dir gefallen.«
»Onno … ich bin mir nicht ganz sicher, ob du mich auch richtig verstehst. Liest du manchmal auch noch etwas anderes als die Zeitung?«
»Ja, ich weiß, was du davon hältst. Es geht aber nicht
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