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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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dieser ganze Krieg, über den auch ihre Eltern ständig redeten – und dem sie ihre Existenz zu verdanken hatte –, ein Geschehen aus grauer Vorzeit. Es lief wohl darauf hinaus, daß sie für Max überflüssig war. Dieses Gefühl hatte sie die ganze Zeit über selbst auch gehabt, und jetzt wußte sie, woher es kam. Sie hatte den richtigen Entschluß gefaßt, ihn zu verlassen, wenn auch vielleicht aus einem falschen Grund. Er war verschlossen, und er war nicht dazu bereit gewesen, ihr den Schlüssel zu geben, den Onno offenbar in der Tasche hatte.
    »Willst du wieder zu ihm zurück?« fragte Onno.
    »Das geht nicht mehr. Nicht, weil du mir das alles erzählt hast, sondern weil er es mir nicht erzählt hat.« Sie sah, daß Onno sich unbehaglich fühlte und sich fragte, ob er vielleicht doch einen Fehler gemacht hatte. »Und du?« fragte sie, um ihm zu helfen. »Wie geht es dir? Kommst du voran mit deinen Entzifferungen?«
    »Red nicht davon. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, starrt mir der Bankrott meines Lebens mit hohlen Augen entgegen.«
    »Übertreibst du da nicht ein bißchen?«
    »Ein bißchen? Du solltest mich nicht beleidigen. Ich übertreibe furchtbar!«
    »Also geht es dir eigentlich sehr gut?«
    Ein schiefes Lachen glitt über sein Gesicht.
    »Nein, Ada, aber ich schlage mich so durch.«
    Es berührte sie, daß er sie beim Namen nannte. Hatte Max sie je mit Ada angeredet? Das Nennen des Namens während eines Gesprächs hatte den Anflug einer kleinen Liebkosung, war wie ein Streicheln über den Kopf. Hatte sie selbst jemals Max beim Namen genannt?
    Onno erzählte, er habe beschlossen, in der Zeit, in der er keinen Ansatzpunkt für den Diskos von Phaistos finde, zum Zeitvertreib dann eben die Niederlande zu ändern. Jetzt sei der Augenblick da, die Gelegenheit komme so bald nicht wieder. Deshalb sei er vor kurzem Mitglied der sozialdemokratischen Partei geworden, kein Verein von Himmelsstürmern, zugegeben, aber alles in allem die einzige Partei, die eine Chance auf wirkliche Macht habe und in der man sich mehr oder weniger als kultivierter Mensch zeigen könne. Als erstes müsse nun diese Partei selbst geändert werden; er sehe sich als Teil der Neuen Linken, einer kleinen, aber erlesenen Gruppe von Meuterern, Journalisten und sonstigen zweifelhaften Typen, die in kurzer Zeit die Vorherrschaft der verpfuschten sozialdemokratischen Bonzokratie brechen wollten, all dieser sklavischen Jünger Amerikas mit ihrem Kommunistenhaß und ihrer perversen Liebe zu den Katholiken. Zugleich jedoch müsse verhindert werden, daß diese finsteren Studentenführer an die Macht kämen, auch dazu sei die alte Garde nicht mehr in der Lage. Kurzum, den größten Teil seiner Zeit verbringe er neuerdings bei Versammlungen.
    »Wenn du mich fragst, tust du das auch, um deine Brüder zu ärgern. Und was hält dein Vater davon?«
    »Da hat man es wieder«, lachte Onno. »Erzähle nie etwas einer Frau, denn sie wird es mißbrauchen, um dich zu verstehen.
    Im Grunde seines Herzens ist er wahrscheinlich froh, daß ein Quist jetzt auch bei den Roten eine Rolle spielt, aber er würde sich eher die Zunge abbeißen, als das einzugestehen. Und die Sozialisten finden es auch nicht schlecht, einen Quist dabeizuhaben. Mit der erhabenen Würde, die ja so kennzeichnend für mich ist, lasse ich mir das gefallen. In der Politik muß man mit den Waffen kämpfen, die man hat, wie in der Liebe. Alles innerhalb der Grenzen des Anstandes, versteht sich.«
    »Du siehst Max jetzt also seltener als früher?«
    »Ja«, sagte er, »ich sehe Max jetzt seltener als früher.« Er zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Ich glaube nicht, daß ich es dir erklären kann, denn ich verstehe es eigentlich selbst nicht, aber ich werde ihm bis ans Ende meiner Tage dankbar sein für die Tatsache, daß es ihn gibt.«
    »Das gilt auch für ihn, was dich betrifft. Das weiß ich.« Sie sah ihn kurz an. »Aber warum gibst du hier plötzlich feierliche Erklärungen ab?«
    »Aus saturnischer Melancholie.«
    »Ist etwas Unangenehmes zwischen euch vorgefallen?«
    »Aber nein. Es hat nur etwas mit der Zeit zu tun. Wir kennen uns jetzt ein halbes Jahr, und in den letzten Wochen erwische ich mich dabei, daß mir immer wieder ein Satz von Hegel einfällt, wenn ich an die ersten Monate denke: Das war also ein herrlicher Sonnenaufgang. Das schrieb er noch als alter Reaktionär über die Französische Revolution, die ihn in jungen Jahren inspiriert hatte – als jeder nur noch von

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