Die Entdeckung des Himmels
Auf den breiten Stufen des Nationalmonumentes, das aussah wie ein erigierter Pylon der präfreudianischen Unschuld, saßen und lagen Hippies in bunten Kleidern, die von Streifenbeamten in schwarzen Uniformen und zwei Militärpolizisten zu Pferd bewacht wurden. Brons meinte, dieses Herumlungern sei doch eigentlich eine Entweihung der Gefallenen, woraufh in Onno eine Geste machte, die besagte, daß das nicht ganz abzustreiten sei, aber daß andererseits … Auf der anderen Seite des Platzes, am Fuße des königlichen Palastes, der nach Meinung Onnos und seiner Mitstreiter wieder Rathaus werden sollte wie während der Republik, stand ein rotes Kasperletheater, wo gerade für die am Boden sitzenden Kinder eine Vorstellung gegeben wurde.
Zu Onnos Schrecken legte Brons eine Hand auf seinen Arm.
»Onno, sieh mich an. Versprichst du mir, daß du gut für Ada sorgen wirst?«
»Das verspreche ich«, sagte Onno in ironisch-feierlichem Ton, als ob er vereidigt würde.
Er wollte seinen Arm wegziehen, aber die Hand blieb weiter darauf liegen, er spürte schon ihre Wärme. Mit unbehaglichem Gefühl sah er in die treuherzigen Augen des Antiquars.
Es war klar, daß er etwas sagen wollte, es fiel ihm jedoch schwer, einen Anfang zu finden; vielleicht hatte er es sich vorher zurechtgelegt und versuchte sich jetzt daran zu erinnern.
»Ada«, sagte er, »ist nämlich ein sehr schwieriges Mädchen, vor allem für sich selbst. Schon als Kind war sie sehr verschlossen, Freundinnen hat sie eigentlich nie gehabt. Sie wollte zwar, aber aus irgendeinem Grund hat sie immer nur Aggressionen hervorgerufen, ohne daß sie es bewußt darauf angelegt hat. In der Schule wurde von anderen Mädchen ständig gegen sie intrigiert und hinter ihrem Rücken geredet, immer wurde Unsinn über sie verbreitet.«
»Und wie kam das?«
»Keine Ahnung. Bis zu ihrem sechzehnten oder siebzehnten Lebensjahr war sie eingesponnen in einer Art Kokon, sie sah einen auf eine Art an, daß man sich fragte, ob sie einen eigentlich wirklich sah. Und sie lernte nicht nur schlecht, wir hatten sogar den Eindruck, daß sie gar nicht begriff, was das war: lernen. Sie wechselte von einer Schule zur anderen, aber es fruchtete alles nichts.«
Er zog seine Hand zurück und wartete, bis der Tee serviert worden war. Woher rührte eigentlich diese Asymmetrie?
fragte sich Onno; warum war die Liebe der Eltern zu ihrem Kind selbstverständlich, und das Umgekehrte nicht? Warum mußte ›Du sollst Vater und Mutter ehren‹ ein Gebot sein und ›Ehrt euer Kind‹ nicht?
»Aber das hat sich doch alles gelegt«, sagte er.
»Das schon. Aber trotzdem … Die Natur«, fuhr Brons fort, »war nicht gerade zartfühlend mit ihr. Bis zu ihrem achten oder zehnten Lebensjahr hatte sie ununterbrochen Probleme mit den Ohren, sie mußten ständig durchstochen werden. Das hörte glücklicherweise auf, aber dann bekam sie Probleme mit den Augen. Irgendwann stellte sich heraus, daß sie weitsichtig und kurzsichtig zugleich war, wenn ich das richtig verstanden habe. Mal so eine Brille, dann wieder eine andere. Das hat sich glücklicherweise auch gelegt, vielleicht, weil Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit einander ausgleichen, aber inzwischen ist sie bestimmt hundertmal beim Augenarzt gewesen.
Dazu kam noch, daß sie ständig Unfälle hatte. Fahrradfahren, bumm, Schneidezähne abgebrochen. Schlittschuhfahren, bumm, jemand ist ihr über die Hand gefahren, zack, Sehnen durchgeschnitten. Zum Glück war es ihre rechte Hand. Ich darf gar nicht daran denken, was aus ihr geworden wäre, hätte sie nicht mehr Cello spielen können. Denn was ihr letztendlich geholfen hat, da durchzukommen, war die Musik. Richtig verstanden habe ich es nie, ich bin absolut unmusikalisch, ich kann nicht einmal ein Requiem von einem Wiener Walzer unterscheiden.«
»Diesen Unterschied gibt es vielleicht auch gar nicht.«
»Ja, siehst du, du verstehst was davon, sonst wärst du wohl auch nicht mit Ada zusammen.«
»Wie kommen Sie darauf?« sagte Onno. »Ich verstehe absolut nichts davon. Das Wort ist der Tag, die Musik die Nacht.
Ihre Tochter ist mir ein Rätsel. Aber vielleicht stehen sich Verständnis und Liebe nur im Weg. Verstehen Sie Ihre Frau, wenn ich fragen darf?«
»Wie?« fragte Brons, sah ihn an und hatte plötzlich etwas Starres in den Augen. »Was meinst du?«
»Nichts, eigentlich. Ich will nur sagen, daß vermutlich niemand was versteht von der Ehe anderer Leute, und von der eigenen schon gar nicht. Ich habe mich
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