Die Entdeckung des Himmels
nur um die DDR, sondern um die Niederlande.«
»Mach doch etwas Unnützes, wie es einem Herrn deines Standes geziemt.«
Onno nickte.
»Wir werden schon noch sehen, wer von uns beiden hier wirklich ein Herr ist.« Und nach einer kurzen Pause: »Ich freue mich, daß du wieder da bist, denn jetzt kann ich mich neben dem gesellschaftlich relevanten Gefasel meiner Mitstreiter aus der Arbeiterbewegung endlich wieder an deinen schändlichen Auffassungen ergötzen.« Er nahm sein Glas Cola-Rum entgegen und drehte sich unbehaglich in seinem Sessel hin und her. »Aber ich muß dir auch etwas Schreckliches gestehen.« Als er sah, daß Max erschrak und tatsächlich etwas Schreckliches erwartete, sagte er: »Es hat sich zwischen Ada und mir etwas sehr Schönes entwickelt.«
In den Tagen, als die Chemie noch eine abenteuerliche Wissenschaft war, konnte es passieren, daß das Hinzufügen einer Flüssigkeit zu einer anderen zu völlig unverständlichem Sprudeln, zu Farbveränderungen und einem Anstieg der Temperatur führte: so fiel Onnos Bericht in Max’ Hirn. Es war, als könne er Adas Gestalt auch als räumliche Erscheinung sehen, die sich diagonal von ihm zu Onno bewegte wie eine Schachfigur, die schwarze Königin.
»Was für eine Überraschung, Onno. Seit wann?«
»Ungefähr zwei Wochen.«
Max wußte noch nicht so genau, was er davon halten sollte.
Er freute sich für Onno, aber er konnte sich keine Vorstellung von den beiden zusammen im Bett machen; und obwohl er es nicht wollte, hatte er, während er Onno ansah, doch immer ihren nackten Körper vor Augen.
»Gratuliere. Du hättest es nicht besser treffen können.«
»Ich hätte natürlich bei dir um ihre Hand anhalten sollen, aber du warst ja nicht da.«
»Nein. Du hast mich fortgeschickt.«
»Sag mal, du meinst doch nicht etwa –«
»Natürlich nicht.«
Max lachte. Er wollte fragen, wie und wo sie einander begegnet waren, aber es ging ihn nichts an. Das war nicht mehr seine Sache. Wenn Onno es nicht von sich aus erzählte, wollte er es auch nicht wissen. Erst jetzt traf ihn das Bewußtsein, daß es nun also endgültig aus war zwischen ihm und Ada – und das, obwohl es doch eigentlich schon lange zu Ende war. Keiner von beiden hatte noch einmal etwas von sich hören lassen. Die Frage, ob er sich etwas hatte entgehen lassen, war überflüssig; wenn es so war, wie es war, so war es seine eigene Schuld, und es war unwiderruflich.
Onno stellte sein Glas ab, ließ sich auf die Knie fallen und faltete die Hände.
»Habe ich deinen Segen?«
»Unter kultivierten Menschen ist es ja wohl das erste Gebot der Höflichkeit, daß man seinen Freunden seine Frau anbietet.«
Onno hievte sich wieder in den Sessel.
»Das stimmt. Ich danke Ihnen höflichst. Betrachte es einfach als Rückvergütung für Helga.«
Schon nach wenigen Wochen, der Sommer neigte sich seinem Ende zu, hatte Max eigentlich vergessen, daß die Verhältnisse je anders gewesen waren. Das erste Mal, daß er Ada wieder traf, war nach einer Aufführung des Concertgebouw-Orchesters. Sie hatte die Stelle bekommen, und die Saison wurde eröffnet mit Brückners Siebenter. Er saß brav neben Onno im vollen Saal und sah auf die kolossale Orgel, die aussah wie der Thoraschrein in einer orientalischen Synagoge. Das Adagio mit seiner unerbittlichen Cellopassage wühlte ihn auf. Er ging deshalb nie in ein Konzert, es ergriff ihn zu sehr, und jetzt war es noch heftiger als sonst, nicht nur, weil er jetzt Ada zuhörte, sondern vor allem deshalb, weil er seit der Reise empfindlicher geworden war, wie nach einer Operation. Onno dagegen versuchte die Zeit zu überbrücken, indem er im Programmheft las: im Adagio hatte der kleine Österreicher seine Emotionen über den Tod Wagners verarbeitet, und Onno dachte: Adagio, Ada-Gio, Giove, Jupiter, Zeus, Ada und der Obergott: da saß sie auf der Bühne, rechts, dem Willen des Dirigenten vollkommen ausgeliefert.
Um der Musik näherzukommen, hatte er sich – für die Zeit während der Versammlungen im Amsterdamer Parteihauptquartier, in Cafés und in Hinterzimmern von Hotels im Grünen – ein Lehrbuch über Harmonielehre besorgt; aber auch der Umstand, daß ihm niemand mehr erklären mußte, was cismoll bedeutet, hatte nicht geholfen. Als ihn ein anderer Verschwörer einmal fragte, warum er nicht zuhöre, hatte er ohne von seinem Buch aufzublicken gesagt: »Ich lese nicht mit den Ohren«, woraufh in der strenge Frager durch das Gelächter der anderen peinlich degradiert wurde
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