Die Entdeckung des Himmels
in der Hierarchie, vielleicht für den Rest seiner politischen Laufb ahn. Aber Onno hatte herausgefunden, daß er über ein absolutes Gehör verfügte.
Nach dem Konzert gingen sie in eine Kneipe hinter dem Concertgebouw, die vollständig mit Trödel-Mobiliar eingerichtet war und so voll wie eine Straßenbahn während der Hauptverkehrszeit: schmuddelige Künstler aus der Gegend, geschiedene Frauen, Studenten, Konzertbesucher, Orchestermitglieder in Rock und Abendkleid. Als Ada hereinkam und sich zu ihnen durchkämpfte, begrüßten Max und sie einander mit einer Art gespannter Entspanntheit, mit Küssen auf die Wangen, als ob es nie anders gewesen wäre, und ohne auf die Veränderung anzuspielen, nicht einmal mit einem Blick.
»Schön, dich wiederzusehen! Hattest du einen schönen Urlaub?«
»Sehr schön.«
»Wie fandest du es heute abend?«
»Wundervoll. Und meine Glückwünsche zu deiner Anstellung.«
»Marijke!« rief sie einer Kollegin zu. »Du auch ein kleines Bier?«
Er erkannte sie kaum wieder. Sie redete und lachte, ging auf andere zu, stellte sie vor, verschwand mit ihnen im Gewühl, tauchte wieder auf, hing an Onnos Arm, traf Verabredungen, winkte denen zu, die gingen, und schien vollkommen glücklich zu sein. Was er nicht wußte, war, daß auch er ein anderer für sie geworden war, seit Onno ihr von ihm erzählt hatte.
»Gehst du ein Stück mit uns?« fragte Onno, als sie gezahlt hatten.
»Ich bleibe noch ein wenig hängen«, sagte er mit einem Blick in die Richtung von Marijke. »Kommt gut heim.«
So wie Onno Ada früher nie ohne Max gesehen hatte, so traf Max sie nun nie mehr ohne Onno. Aber so oft sahen sie sich ohnehin nicht. Onno wurde immer mehr durch die Partei in Anspruch genommen, vor allem abends; in der Regel pflegte die Politik Ehen und Verhältnisse zu ruinieren, aber auch Ada hatte ihre Proben und ihre Auftritte. Und Max selbst mußte jetzt wöchentlich nach Dwingeloo.
Immer öfter wachte er morgens mit einem dumpfen Unbehagen auf, daß er vorher nicht von sich gekannt hatte. Eigentlich begann es schon, bevor er aufgewacht war, noch im Halbschlaf: ein dunkler Pessimismus, der sich vor allem auf seine Arbeit erstreckte. Zweifel über die Richtigkeit des Forschungsprogramms, schwerwiegende Argumente, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, wenn er die Augen aufgeschlagen hatte, die aber als Niedergeschlagenheit an ihm hängenblieben wie der Geruch von Feuer. Sprang er früher nach einigen Sekunden aus dem Bett, um sofort unter die Dusche zu gehen, so blieb er jetzt noch minutenlang liegen und fragte sich, was eigentlich los war. Er dachte an die Arbeit, aber damit war alles in Ordnung – mit ihm selbst stimmte etwas nicht. Im Laufe des Vormittags legte sich das, aber wenn er Richtung Osten mußte und anderthalb Stunden im Auto saß, kehrte die Niedergeschlagenheit manchmal wieder. Es war keine richtige Depression, für die man Fachleute konsultieren und gegen die man Pillen schlucken mußte, und er vermutete, daß sie eine konkrete Ursache hatte: seine Reise. Was in den ersten Wochen vorherrschend gewesen war in seiner Erinnerung – barocke Paläste und Kathedralen auf Hügeln, Heiligenfiguren auf Prager Brücken, die Wiener Hofburg, Zigeunermusik am Abend in Budapester Jugendstilhotels oder in ärmlichen Cafés mit Namen wie Fixmatros – , hatte gegen Ende immer mehr der reglos daliegenden Gehenna Platz gemacht, dem Höllenzentrum im Mittelpunkt seines satanischen Dreiecks. Dieses unermeßliche Unding war tiefer in ihn eingedrungen, als er vermutet hatte, vielleicht hätte er doch nicht auf Onno hören sollen. Vielleicht sollte er Urlaub machen, um sich von seinem Urlaub zu erholen. Zehn Tage Kanarische Inseln, überlegte er, würden ihm guttun, aber er wußte auch, daß es bei dieser Überlegung blieb, daß er sein Reisebüro nicht anrufen würde.
Anfang September zog Ada zu Onno. Die Nachbarn von oben, von der Beletage, waren ausgezogen, und er hatte deren Räume dazugemietet, so daß er plötzlich über eine richtige Wohnung mit eigener Küche und eigener Wohnungstür verfügte.
Das Souterrain blieb weiterhin sein Arbeitsbereich, Ada bekam das neue Vorderzimmer, das Hinterzimmer wurde ihr Schlafzimmer, und für das kleine Nebenzimmer würde man auch noch eine Verwendung finden.
»Da kommt unser Kind hinein!« hatte Onno ausgerufen.
»Dieser schreckliche Wurm, der mir den Schlaf rauben wird mit seinem widerlichen Geschrei, so daß ich mich leider gezwungen sehen werde,
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