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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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zum Beispiel oft gefragt, was mein Vater eigentlich in meiner Mutter sah, aber ich weiß es bis heute nicht, ehrlich gesagt. Und er selbst vermutlich auch nicht. Aber vielleicht ist genau das die Liebe.«
    Plötzlich standen Ada und ihre Mutter am Tisch. Forschend sah Ada von Onno zu ihrem Vater. Worüber hatten sie gesprochen? War das von ihrer Mutter so eingefädelt worden?
    Onno stand auf und sah in das Sphinxgesicht von Sophia Brons.
    »Wir haben uns über die Entwicklungen auf dem Aktienmarkt unterhalten«, sagte er. »Ich habe beschlossen, à la baisse zu spekulieren.«
15
Die Einladung
    Auch als das Haus in der Kerkstraat eingerichtet war und Onno endlich »wohnte«, wurde Max nicht eingeladen. Da Ada lieber nicht mehr in die Vossiusstraat ging, trafen sie sich meistens irgendwo in der Stadt. Eines Abends hatten sie sich an der Bar des Lucky Star verabredet, eines Tanzlokals, das die soziale Bouillabaisse enthielt, die seit einigen Jahren in Amsterdam auf dem Feuer stand: Intellektuelle, Dichter, Schriftsteller, Komponisten, Aktivisten, Politiker, ehemalige Provos, durchsetzt von frivolen Industriellen, eingebildeten Modeschöpfern, kichernden Society-Friseuren und etablierten Typen aus der Unterwelt, und das alles mit weiblichem oder männlichem Anhang vor sich hin köchelnd in der Suppe tanzlustiger junger Menschen aus den Arbeitervierteln. Max hörte hingebungsvoll California Dreamin’ von den Mamas and Papas aus der Jukebox und sah sich die Mädchen an, die ihren Jungens auf die Tanzfläche vorausgingen, und zwar mit einer merkwürdigen Motorik: jeweils ein Arm schaukelte, anstatt mehr oder weniger gestreckt nach vorne und hinten, mit herabhängender Hand in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad hin und her, während der Oberarm dabei praktisch bewegungslos blieb.
    Über der Tanzfläche kreiste eine Kugel, die aus sechseckigen Spiegelglasstückchen zusammengesetzt war und das Licht einiger Spots in zahllosen kleinen Flecken auf Wände und Leute warf, ab und zu traf ein greller Blitz seine Augen. Vielleicht, so dachte er, hing irgendwo im Weltall auch so ein Ding.
    Als Onno durch den dunkelroten, sich teilenden Vorhang am Eingang trat und ihn sah, nahm er einen Brief aus der Tasche und winkte ihm damit zu.
    »Geh mal weg da«, sagte er streng zu einem leichenblassen jungen Mann, der auf dem Hocker neben Max saß, und zu seiner eigenen Verwunderung geschah tatsächlich, was er befohlen hatte. »Na? Was sagst du nun? Ein Brief aus Kuba.«
    »Also doch!« sagte Max überrascht.
    Das Schreiben war gerichtet an companera Ada Brons – was nach Onnos Meinung nicht ›Kamerad‹ bedeutete, denn das sei camarada , sondern ›Genosse‹.
    »Darin liegt genau der Unterschied«, sagte er.
    Der Brief war in schlechtem Englisch abgefaßt und kam vom Institute Cubano de Amistad con los Pueblos. Im Oktober finde in Havanna für zehn Tage ein Kammermusikfestival statt, an dem zahlreiche Ensembles aus Ost- und Westeuropa sowie Lateinamerika teilnähmen. Die Reise mit Cubana und der Aufenthalt im Hotel Nacional ginge auf Rechnung des ICAP; im Zusammenhang mit der unsicheren Devisensituation als Folge der nordamerikanischen Blockade gebe es leider keine Gage.
    »Phantastisch! Nur, das Duo gibt es doch nicht mehr?«
    »Es wird es wieder geben«, sagte Onno bestimmt.
    »Sie sagt zu?«
    »Natürlich. Vorausgesetzt, sie wird vom Orchester freigestellt; wenn allerdings ein Kommunistenfresser in der Verwaltung das Sagen hat, wird es schwierig. Sie hat heute abend gespielt und wollte danach versuchen, jemanden zu erwischen.
    Ich treffe sie nachher über dem Bamboo. Aber es gibt ein kleines Problem«, sagte Onno und zeigte mit dem Finger auf das Datum. »Der Brief hat zwei Monate gebraucht, um das christliche Abendland zu erreichen. Das ist das große Problem der Dritten Welt: die Kommunikation.«
    »Hat sie schon die Botschaft angerufen?«
    »Wenn sie Urlaub bekommt von diesen schrecklichen Regenten, gehen wir morgen gleich hin. Anrufen liegt mir nicht: dann rufen sie dich nach dem Ende des Festivals zurück.«
    »Du kannst morgen vormittag mit mir mitfahren, wenn du möchtest; ich bringe euch dann nach Den Haag.«
    »Komm, laß uns gehen.«
    Über dem Bamboo, aus dem das Scheppern einer Dixielandband zu hören war, lag der Club der neuen Linksliberalen; aber auch die Sozialdemokraten des Rebellenclubs waren dort zu finden, ohnehin kannte jeder jeden, und die Zugehörigkeit zur selben Generation war vorläufig noch wichtiger

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