Die Entdeckung des Himmels
gesessen hatte, sondern auch den Schachgroßmeister, der wegen des Capablanca-Turniers hier war.
»Jeder ist hier, die ganze Welt. Alle linken Intellektuellen.«
»Laß das ›linke‹ einfach weg«, sagte Onno, »denn die Alternative wäre ein contradictio in terminis.«
Auf der großen Terrasse hinter dem Hotel bestellte Onno seinen ersten richtigen Cuba-Libre; Ada und Max nahmen einen Milchshake. Als Ada hörte, was ihnen passiert war, fing sie an zu lachen.
»Hier ist alles möglich. Es ist wie in dem Märchen, in dem sich ein häßlicher Frosch in einen bildhübschen Prinzen verwandelt.«
»Wenn wir demnächst an der Macht sind in den Niederlanden«, sagte Max, »verordnen wir per Dekret das gleiche subtropische Klima wie hier.«
»Genau«, sagte Onno, »du sagst es. Die Politik ist vielleicht ästhetisch bestimmt, aber auf jeden Fall immer auch meteorologisch.«
»Wie herrlich, daß ihr da seid. Ihr habt mir gefehlt.«
»Max ja wohl nicht, hoffe ich?« fragte Onno.
»Anders.«
Die Nacht blieb heiß. Die Terrasse grenzte an einen großen, parkähnlichen Garten, der zum Meer führte. Als es langsam ruhiger wurde, kündigte Onno an, daß er noch etwas Wichtiges mit Ada zu besprechen habe, das aber streng vertraulich und nur unter vier Augen möglich sei. Er werde Max morgen bei der Eröffnungssitzung sehen.
»Ja, ja«, sagte Max. »Der Neue Mensch als Schwein.«
Als sie gegangen waren, spazierte er in den dunklen Garten.
In den Kuppelgewölben der riesigen, verschlungenen Bäume schien die Luft zu stehen; andere hingegen wirkten mit ihrem filigranen Laub geradezu durchgeistigt und zerbrechlich wie Brüsseler Spitze, doch so exotisch das auch war, so vertraut war es ihm zugleich durch die Aussicht seines Leidener Büros auf den Botanischen Garten. Die ganze Insel war ein botanischer Garten, allerdings ohne Namenstafeln. Von einer niedrigen Balustrade aus blickte er über das Meer. Ein Hauch von Kühle kam ihm entgegen; hier und dort Lichtpunkte von Fischerbooten auf dem Wasser; das Pandämonium der Stadt wurde vom sanften Rauschen der Brandung fast überstimmt.
Da stand er nun, hierhin hatte ihn das Leben geführt, an diesen paradiesischen Ort. Er dachte an seine Geschichte, an seine Eltern, an die Reise nach Polen – und dann an die Worte des kubanischen Botschafters: »Was in zehntausend Kilometern Entfernung geschieht, ist nicht geschehen.« War Auschwitz nicht geschehen? Dieser üppige Sternenhimmel! Er befand sich genau auf dem Wendekreis des Krebses, der Polarstern stand tief, aber die Bäume hinter ihm beeinträchtigten die Aussicht auf die Sterne im Süden, die er noch nie gesehen hatte.
Plötzlich hörte er leise Stimmen. Er sah zur Seite und entdeckte zwanzig Meter weiter im Dunkeln eine kleine Gruppe Soldaten neben einer Schnellfeuerkanone, den Lauf auf den Horizont gerichtet. Als er die Hand hob, grüßten sie zurück. Er seufzte tief, und ein heftiges Glücksgefühl durchströmte ihn.
17
Heiße Tage
Die offizielle Eröffnung der Konferenz am nächsten Morgen erfolgte durch den Präsidenten der Republik, Fidel Castro selbst würde erst zur abschließenden Plenarsitzung eine Rede halten, auf die ein Empfang im Palast der Revolution folgen sollte. Während der Kaffeepause spazierten Max und Onno aus dem Hotel, um einen kurzen Eindruck von der Stadt bei Tageslicht zu bekommen. Ihre Augen, die sich auf das Kunstlicht im Konferenzsaal eingestellt hatten, wurden von der Sonnenglut auf der Straße geblendet: es war, als dringe sie durch die Haut und verursache im Inneren eine Art Dämmerung.
Hoch oben am Himmel flogen die Geier: wie Akkoladen zogen die schwarzen Vögel in trägen Kreisen Schleifen über der glühenden Stadt, ohne auch nur ein einziges Mal die Flügel zu bewegen. Hinter den Zäunen vor dem Hotel standen wieder Schaulustige, die ihre Augen auf sie hefteten und sich zu erinnern versuchten, welche Helden aus welchem Land sie waren; natürlich hatten die Zeitungen schon seit Wochen über die Konferenz berichtet und die Lebensläufe der Teilnehmer abgedruckt. Obwohl Eis angeblich nur etwas für Pastoren war, wollte Max bei Coppelia eines kaufen; aber wenn er sich in der Schlange angestellt hätte, hätte er wahrscheinlich den Lunch verpaßt. Sie unterhielten sich über die Rede des Präsidenten, in der er erläutert hatte, welche Resultate das kubanische Volk, die revolutionäre Regierung und die kommunistische Partei sich von dem Treffen versprachen, und gingen in den Schatten
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