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Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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Psychologie der Religion ins Spiel gebracht hatte, oder Marx. Während die Sonne seinen Rücken röstete, lauschte er der Brandung.
    Vielleicht war nur das Geräusch eines ausbrechenden Vulkans älter. Das älteste Signal war die kosmische Hintergrundstrahlung von 3 °Kelvin, das Nachglühen des Urknalls, mit dem Marilyns »natürlicher Raum und natürliche Zeit« entstanden waren; die explodierende Einmaligkeit wäre dann ihr Fluchtpunkt, durch den nichts hindurchging. Die Frage, was dahinterlag oder davor, war sinnlos. Das stimmte exakt. Die Kunst nicht nur als Leitfaden für politisches Handeln, sondern auch für das wissenschaftliche Verständnis der Welt!
    »Du bekommst einen Sonnenbrand«, sagte Ada. »Ich übrigens auch. Ich sehe mal nach, ob es irgendwo Sonnenöl gibt.«
    Als sie zum Bungalow ging, stützte Max sich auf einen Ellbogen, sah Marilyn tief in die Augen und sagte: »Wenn das so ist, sollten wir dann nicht vielleicht besser heiraten?«
    Einen Augenblick lang hielt sie seinen Blick aus und ließ sich dann in einem Lachkrampf von ihrem Handtuch in den Sand rollen, wo sie mit weit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken liegenblieb. Er wollte ebenfalls lachen, aber als er plötzlich ihren Venushügel sah, den dünnen Stoff ihrer Bikinihose über der Wölbung ihrer Schamlippen, dieser großen Kaffeebohne, öffnete er nur leicht den Mund. Als sie bemerkte, was los war, wurde sie plötzlich ernst. Sie setzte sich auf, schlug die Arme um die Beine und sah ihn eine Weile nickend an.
    »Was denkst du jetzt eigentlich?« fragte sie.
    »Schreckliche Sachen.«
    »Schlag sie dir aus dem Kopf. Da bist du bei mir an der falschen Adresse.«
    »Das fürchte ich auch.«
    »Meine Güte, wie unangenehm mir das jetzt ist. Wir hatten ein interessantes Gespräch, aber kaum ist deine Frau oder Freundin weg, beginnt das Getue.«
    »Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist die Freundin meines Freundes.« Er sah, daß sie diese Mitteilung kurz aus dem Konzept brachte. »Na, dann kannst du doch jetzt rufen: ›Liebling, das ändert alles!‹ und mir um den Hals fallen.«
    Es kostete sie offenbar Mühe, die beleidigte Haltung beizubehalten, wenn sie jetzt lachen würde, dachte sie wahrscheinlich, würde es vielleicht doch noch schiefgehen. Sie hatte natürlich etwas mit irgendeinem comandante , oder, besser noch, mit einem ernsten Professor der Ästhetik, oder mit einem jovialen Surrealisten in einem schmuddeligen Atelier, alles war möglich. Vielleicht hatte sie es ausschließlich mit der Revolution. Er beschloß, es vorläufig so zu belassen. Der Tag war ja noch nicht vorbei. Er legte sich wieder auf den Bauch, stützte das Kinn auf die Hände und sah Ada, die gerade mit dem Sonnenöl aus dem Haus kam.

19
Im Meer
    Auch am Abend aß Jesus wieder in der Küche. Träge, mit roten Gesichtern, saßen sie während des unbändigen Sonnenuntergangs auf der Veranda um den Tisch. Die Wärme nahm kaum ab, und nach dem Duschen hatten sie sich alle nur ein Hemd angezogen, nur Guerra trug immer noch seine lange Hose und die bestickte Jacke. Als es rasch dunkel wurde und der Wald nicht mehr durch seinen Schatten auffiel, füllte er sich mit dem Gezirp unzähliger Zikaden. Melancholisch wegen ihrer bevorstehenden Abreise und ein bißchen auch vom vollmundigen Rotwein, der zum gegrillten Lammfleisch serviert wurde, betrachtete Ada die immer tiefer sinkende, violette Glut über dem Meer.
    »Ich bin untröstlich. Das ist das letzte Mal, daß ich hier die Sonne habe untergehen sehen.«
    »Dann bleib doch hier«, sagte Guerra. »Marilyn ist auch hiergeblieben.«
    »Wenn das so einfach wäre …«
    »Angenommen«, sagte Max, während er ein Stück Weißbrot in den Wein tunkte, »sie würde jetzt sagen, sie bliebe, was stünde dann für sie an? Das große Glück oder die Frage: Was jetzt?«
    »Mit anderen Worten«, folgerte Marilyn, »Glück ist unmöglich.«
    Er sah sie an und war überzeugt davon, daß auch sie wußte, daß sie beide in ein zweites, unausgesprochenes Gespräch verwickelt waren. Er nahm die Flasche und sagte: »Du bist sehr streng. Trink lieber ein Glas Wein. Unserem verhinderten Freund zufolge ist Wasser dazu da, um sich die Zähne zu putzen.«
    »Nein, danke«, sagte sie. »Ich muß noch schießen.«
    Lachend schenkte er den anderen nach.
    »So ist es. Es ist jetzt lebensgefährlich auf der Straße, überall an der Küste wimmelt es von Infiltranten. Warum übernachten wir nicht hier? Das ist doch sicher

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