Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Titel: Die Entdeckung des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
Sternbildern der antiken Astronomie; aber auch auf der nördlichen Halbkugel hatte er wenig mehr gesehen als das, was er als Junge gelernt hatte, im Krieg. Das geschweifte, schwach leuchtende Band der Milchstraße zog sich wie ein abgerissener Brautschleier über das Gewölbe, und zum ersten Mal seit Jahren wurde ihm wieder klar, weshalb er dieser grandiosen Kuppel sein Leben gewidmet hatte.
    Das Meer, das ihm jetzt noch wärmer vorkam als am Nachmittag, empfing ihn wie jemanden, der nach Hause zurückkehrt. Es war Flut. Während er watend gegen die Wellen anging, versuchte er Ada zu entdecken, aber das war unmöglich in all der dunklen Bewegung. Er setzte die Hände an den Mund und rief:
    »Ada!«

    Sie zögerte. Sie sah seine Umrisse, die sich vom hellen Strand abzeichneten, jede Welle hob sie kurz hoch und stellte sie wieder auf ihre Zehenspitzen. In Gedanken war sie bei der märchenhaften Tatsache, daß sie jetzt hier war, nur weil sie Cello spielen konnte: auf Flügeln des Gesanges hatte die Musik sie an diesen Platz im Meer getragen – wenn ihre Mutter sie jetzt sehen könnte!
    »Max!« Sie winkte. »Hier!«
    Er winkte zurück und tauchte.
    Am liebsten wäre sie allein geblieben, aber dann hätte er sich wahrscheinlich Sorgen gemacht. Nur wenn sie allein war, hatte sie das Gefühl, tatsächlich zu existieren; andere Leute hatten vielleicht Angst vor diesem Gefühl, aber sie fürchtete sich eher vor Leuten, die ihr dieses Gefühl nahmen.
    Unmittelbar vor ihr tauchte Max wieder auf.
    »Wem haben wir das zu verdanken?« rief sie.
    »Unserem guten Gestirn!«
    Er legte seine Hände um ihre Taille, und zusammen wiegten sie sich im fast schwarzen Wasser auf und ab. Es war lange her, daß sie ihn so nahe gesehen hatte, sein triefendes Gesicht wurde nur von den Sternen beleuchtet. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und lachte.
    »Es sieht so aus, als tanzten wir.«
    Er legte den rechten Arm um ihre Taille, nahm ihre rechte Hand und drückte sie an sich.
    »La valse …«
    Sie sah ein übermütiges Funkeln in seinen Augen und spürte, wie er eine Erektion bekam, aber weil das unter Wasser war, unsichtbar in der Tiefe, schien es, als hätte sie nichts damit zu tun: es waren so viele Geheimnisse des Meeres noch nicht entschleiert worden. Er legte seine Wange an die ihre, und während er durch das Rauschen der Brandung hindurch das makabre Thema von Ravels Orchesterstück summte, sah sie ein helles Licht am Himmel.
    »Schau, eine Sternschnuppe! Wir dürfen uns etwas wünschen.«
    Er drehte den Kopf, aber er traute der körnigen, lange nachglühenden Gasspur nicht ganz: das mußte ein Brocken von einem oder zwei Kilo sein, und so groß waren Meteoriten selten.
    »Und wenn es nicht in Erfüllung geht«, sagte er, »war es das Wrackteil eines Satelliten; davon gibt es hier viele auf diesem Breitengrad. Was hast du dir gewünscht?«
    »Das darf man nie sagen.« Verwirrt sah sie ihn an.
    Ein Kind , hatte sie sofort gedacht, ohne zu überlegen, als ob dieser Wunsch genauso in sie gefahren war wie dieses Ding in die Atmosphäre, ich wünsche mir ein Kind. Sie war so bestürzt wie ein braver Familienvater, der sich beim Anblick eines Meteoriten plötzlich einen bildhübschen Epheben von siebzehn Jahren wünscht. Soweit sie wußte, wollte sie gar kein Kind, und Onno auch nicht. Erstickte sie also jedesmal, wenn sie die kleine weiße Pille hinunterschluckte, ihren innigsten Wunsch?
    Plötzlich gab es eine Synkope im Rhythmus der Wellen: es kam eine schnellere, höhere, die sie aufh ob und umwarf, keuchend und Salzwasser spuckend kamen sie hoch und nahmen sich wieder in den Arm. Max gab ihr einen Kuß auf die Wange und suchte gleich darauf ihren Mund. Hatte er gesehen, was sie dachte? Sie ließ sich küssen und spürte, wie seine Hand hinten in ihrer Bikinihose verschwand.
    »Was machst du?«
    »Wir müssen noch etwas vollenden«, hauchte er.
    Mach’s dir selbst. Seine Erregung rührte auch von dem Zustand her, in den er sich mit Marilyn gebracht hatte, er hatte einen Korb bekommen, und jetzt war Ada der erotische Ersatz. Aber zugleich spannte er einen Bogen zu diesem Morgen vor gut drei Monaten, und das machte sie wehrlos. Auch er hatte es nicht vergessen, auch er wußte, daß es nicht richtig gewesen war. In dem Augenblick, als eine Welle sie hochhob, zog er ihre Hose herunter und hatte sie im nächsten Moment am Arm. Nahezu schwerelos legte sie ihre Beine um seine Hüften und sagte:
    »Max – das geht doch nicht – wenn

Weitere Kostenlose Bücher