Die entführte Braut: Wenn die Braut sich traut (German Edition)
Schluss hatten alle drei von den scharfen Schnabelhieben Wunden an Händen und Armen.
Gary polsterte eine große Holzkiste mit Stroh aus und setzte sie unter eine Glühlampe, um Wärme für das verletzte Tier zu haben. Dann stand der Adler in seiner Behausung und beobachtete argwöhnisch die Menschen um sich herum.
„Wir müssten Futter für sie finden“, meinte Dan.
Isabel erschauderte. „Fressen Adler nicht rohes Fleisch?“
„Ich glaube schon“, sagte er.
„Vielleicht versuchen wir es mal mit Thunfisch aus der Dose?“
Als sie zum Haupthaus hinaufgingen, legte Dan seinen Arm um Isabels Schultern. Die Geste war so selbstverständlich und normal, dass Isabel nicht zurückzuckte, sondern sogar den Kopf gegen seine Schulter lehnte. Als seine Hand streichelnd über ihre Wange fuhr, überlief sie dann aber doch ein Schauer.
„Ich muss meine Tasche holen“, sagte sie mit gepresster Stimme. „Wir sollten uns langsam nach Seattle in Bewegung setzen.“
„Nein.“ Dan ging unbeeindruckt die Treppen empor.
Isabel blieb stehen und starrte ihn an. „Wie meinst du das?“
Er lächelte sie schwach an. Sein Lächeln löste Schmerz in ihr aus. „Es ist zu spät, Isabel.“
„Anthony hatte gesagt, ich solle mir alle Zeit nehmen, die ich brauche. Wieso soll es dann jetzt zu spät sein, um …“
„Ich meine nur, es ist zu spät am Tage. Es ist doch schon dunkel draußen.“
Unschlüssig sah sie sich um. Zwischen den dunklen Blättern der Bäume sah sie den Himmel, den sich schon violett verfärbt hatte.
„Du musst wohl oder übel noch für eine weitere Nacht mit mir vorliebnehmen, Isabel“, sagte Dan, und es klang keineswegs wie eine Entschuldigung. Dann ging er ohne weitere Worte ins Haus.
6. KAPITEL
Am nächsten Morgen stockte Dan der Atem, als Isabel in die Küche kam. Ihm war, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nie etwas Schöneres gesehen. Ihr Gesicht war noch ungeschminkt, ihr Haar noch leicht feucht und ganz glatt. Sie trug einen grauen Jogginganzug mit dem Emblem der Universität von Washington. Der weiche Stoff hüllte schmeichelnd ihren zierlichen Körper ein.
Sie schenkte sich Kaffee ein. „Ich hab’ den Jogginganzug im Schrank gefunden. Es macht dir hoffentlich nichts aus, dass ich ihn angezogen habe.“
„Natürlich nicht, Isabel. Es ist ja auch ziemlich kühl heute Morgen.“ Er stand auf und reichte ihr die Zuckerdose.
Isabel duftete wunderbar, und wie sie da im Sonnenschein stand, erschien sie ihm ungeheuer verlockend und verführerisch. Frauen wie sie sind es, von denen die Männer in langen, einsamen Winternächten träumen, dachte er und hätte am liebsten die seidigen Strähnen ihres Haars durch die Finger gleiten lassen.
„Was macht denn unser Vogel?“, wollte sie wissen.
„Ich war zweimal in der Nacht und dann beim Morgengrauen drüben.“ Was er ihr nicht verriet, war, dass er auch einmal in ihr Zimmer gegangen war und sie beim Schlafen beobachtet hatte – ein Anblick, der Zärtlichkeit und Reue in ihm weckte.
Vor fünf Jahren hatte sie sich in sein Herz geschlichen, als er sämtliche Türen versperrt zu haben glaubte. Dan schloss die Augen und dachte an damals zurück.
Der Tag, an dem sie ihm gesagt hatte, dass sie ein Baby von ihm erwartete, war tief in sein Gedächtnis eingegraben. Sie war freudig erregt gewesen und gleichzeitig voller Angst. Das war er auch … nein, er war regelrecht entsetzt.
Seine Gefühle für sie waren damals auf einmal wie gelähmt. Er war zu jung und zu dickköpfig gewesen, um zu verstehen, dass anfängliche Verliebtheit sich zu tiefer und reifer Liebe wandeln muss. Und er war zu töricht gewesen, um zu begreifen, dass Verantwortung ihn nicht erdrücken oder ersticken würde. Und deshalb war er in Panik geraten. Ihr Kummer wegen der Fehlgeburt gab ihm einen willkommenen Grund zur Trennung. Wie ein Narr hatte er sich benommen.
„Dan?“ Ihre Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.
Er öffnete die Augen und sah Isabel blinzelnd an.
„Ist mit dem Vogel alles in Ordnung?“
„Ja.“ Er konnte den Blick nicht von ihr wenden.
Sie nahm einen Schluck Kaffee und schaute ihn dabei forschend über den Rand ihres Bechers an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
Dan musste sich am Küchentresen festhalten. Er fühlte sich, als müsse er jeden Moment explodieren, weil sich so viele Emotionen in ihm aufgestaut hatten. „Ja. Nur …“
„Nur – was?“
„Ich hatte immer gedacht, dass du vor fünf Jahren derjenige warst, der
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