Die Entfuehrung
Fischen unter der Wasseroberfläche und Vögeln, die hoch oben durch die Luft schossen, war kein Anzeichen von Leben in Sicht. Als die Sonne über die Uferböschung stieg und ihr mildes Licht auf ihr friedliches Vorankommen warf, seufzte Alistair befriedigt auf.
»Die Strömung wird stärker«, stellte Tibby fest. »Wir werden schneller.«
Bald kamen sie so rasch voran, dass Alistair nicht mehr zu paddeln brauchte. Stattdessen beobachtete er die Ufer zu beiden Seiten. Er wollte es unbedingt vermeiden, ein weiteres Mal auf die Mäuse von Souris zu stoßen, die so rabiat gegen Rotbraune vorgingen.
Zum Glück waren sie so schnell, dass die Mäuse, die sie entdeckten – sie schlenderten am Ufer entlang oder jäteten in ihren kleinen Gemüsegärten direkt am FlussUnkraut oder saßen in kleinen Booten und angelten –, kaum Zeit hatten, zu bemerken, dass da zwei rotbraune Mäuse auf einem Floß auf sie zukamen und auch schon wieder vorbei waren.
»Das ist wirklich eine tolle Reisemethode«, stellte Alistair fest.
»Wenn es so weitergeht, erreichen wir den Eugenia-See heute Abend«, stimmte ihm Tibby zu.
»Allerdings schätze ich, dass wir uns vorher um etwas zu essen kümmern müssen«, sagte Alistair. Er hatte schon eine Weile so ein nagendes Gefühl im Bauch, an dem auch die eine oder andere Brombeere von ihrem am Vorabend gesammelten Vorrat nichts änderte. »Sehr viele Brombeeren haben wir nicht mehr. Wir hätten vielleicht anhalten sollen, als wir vor einer Weile an den Gemüsegärten vorbeigekommen sind. Da hätten wir doch für etwas Essen ein bisschen bei der Gartenarbeit helfen können.«
»Aber sicher«, sagte Tibby. »Wir hätten im Möhrenbeet jäten können, während der Gärtner dann losgerannt wäre und die Königlichen Wachen geholt hätte.«
»Da hast du auch wieder recht«, sagte Alistair. »Wahrscheinlich würde keiner in dieser Gegend unsere Hilfe zu schätzen wissen. Und ich nehme an, es hat auch keinen Wert, in der Stadt anzuhalten, die dort vor uns auftaucht.«
Gerade hatten sie eine breite, gemächliche Flussbiegung durchfahren und kamen an ein langes, gerades Stück. Vor ihnen lag eine Stadt, die so grau war wie Tempelton. Undeutlich sahen sie etwas Rötliches aufblitzen. Als sie näherkamen, fing eine Glocke zu läuten an. Das, und die heiße Sonne, die jetzt direkt über ihnen stand, setzte in Alistairs Kopf den Gedanken an Mittagessen fest. »Es muss gegen zwölf sein«, sagte er.
»Dreizehn, vierzehn, fünfzehn«, zählte Tibby laut mit. »Ich glaube nicht.«
Als sie der Fluss unaufhaltsam auf die Ansammlung grauer Häuser zutrug, die von einer hohen Mauer umgeben waren, da entpuppte sich das Rot, das sie gesehen hatten, als ein Angehöriger der Königlichen Wachen, der auf einer Brücke stand.
»Sieh mal, Tibby!« Alistair deutete auf die rot gekleidete Maus. Beobachteten die Wachen in dieser Stadt ständig den Flussverkehr oder hielt dieser Wachposten womöglich Ausschau nach zwei roten Mäusen?
Die Glocke läutete unaufhaltsam weiter und hallte weit über den Fluss. Plötzlich kamen zwei Kolonnen rot uniformierter Mäuse mit schwarzen Stiefeln eilig durch das Stadttor marschiert. Am Gestade unter der Brücke konnte Alistair zwei schmale Boote erkennen, jedes mit sechs Paar Rudern. Der Wachmann auf der Brücke schrie und gestikulierte in die Richtung des Bambusfloßes. Es war eindeutig, dass es sich nicht um einen Willkommensgruß handelte.
Alistair ergriff sein Paddel. »Hilf mir, Tib!«, rief er.
Tibby Rose zog die Stange aufs Floß und schnappte sich das andere Rindenstück. Dann begannen sie zu paddeln, Alistair zur Linken und Tibby zur Rechten.
Sie waren unter der Brücke durch, als die KöniglichenWachen das Ufer erreichten. »Ihr zwei!«, schrie der Wachmann auf der Brücke. »Im Namen von Königin Eugenia befehle ich euch, anzuhalten! Ich befehle euch –« Seine letzten Worte wurden von einem Aufklatschen übertönt. Alistair blickte zurück und sah, dass das erste der beiden Boote bereits im Wasser lag und das nächste rasch folgte.
»Ruderer, an die Riemen!«, rief der Wachmann vorn im Boot. »Links, rechts, links ...«, kommandierte er.
Alistair versuchte, nicht an seinen Muskelkater zu denken und schneller zu paddeln. »Los, Tib«, drängte er. Das Herz in seiner Brust pochte wild. »So schnell, wie du kannst.«
»Wir schaffen es nicht, ihnen zu entkommen«, keuchte Tibby.
»Aber die Alternative gefällt mir auch nicht«, sagte Alistair grimmig und legte sich
Weitere Kostenlose Bücher