Die Entfuehrung
auf dem Berg verbracht hatte? Er schämte sich, dass er so wenig mitgedacht hatte. Gleichzeitig musste er anerkennen, wie tapfer Tibby gewesen war, dass sie die ganze Zeit ohne Zögern so viel Neues auf sich genommen hatte. Und ihm vertraut hatte.
Er schwamm ans Ufer zurück. »Wenn wir in Smiggins sind, bringe ich dir das Schwimmen bei«, versprach er. »Aber jetzt müssen wir uns waschen.«
Die beiden Mäuse standen im flachen Fluss. Mit der Hilfe von viel Wasser und Steinen schrubbten sie die Brombeerkruste von ihrem Fell. Schließlich standen sie einander völlig verändert gegenüber.
»Wir sehen irgendwie ... schlammfarben aus«, sagte Tibby Rose nicht ganz überzeugt.
»Mit deutlichem Violett-Ton«, bemerkte Alistair und betrachtete seine lilabraunen Arme. »Aber«, fügte er hinzu, »wir sind nicht mehr rotbraun – das ist die Hauptsache. Also, sollen wir unser Glück in der Stadt versuchen und herausfinden, ob ein Verkäufer Mitleid mit zwei armen violetten Mäusen hat und uns einen Laib Brot gibt?«
»Ach, wäre das nicht herrlich?«, sagte Tibby verträumtund rieb sich den Bauch. »Noch nie im Leben habe ich solchen Hunger gehabt.«
Alistair wickelte sich seinen Schal um den Hals, dann kletterten sie die hohe Uferböschung hinauf zu einer staubigen Straße und gingen flussaufwärts, zurück in die Stadt, aus der sie vor knapp zwei Stunden den Königlichen Wachen entkommen waren.
Auf ihrer Flucht flussabwärts hatten sie nicht viel von der Landschaft mitbekommen. Nun stellte Alistair fest, dass die Stadt, auf die sie zusteuerten, von Maisfeldern umgeben war. Der Mais wuchs fast bis auf Höhe ihrer Köpfe. In den meisten Feldern standen riesige Vogelscheuchen – Mäuse aus Stroh, bekleidet mit alten Hüten und Stiefeln. Alistair wusste, dass sie wichtig waren. Krähen waren schließlich eine Bedrohung, sowohl für den Mais als auch für den Bauern selbst.
»Alistair«, sagte Tibby, »ist die Maus dort drüben grün?«
Alistair drehte sich um, denn Tibby deutete über den Fluss. Er sah ein blau gestreiftes Zelt und eine Maus, die in einem Kochtopf über einem Feuer rührte.
»Sie sieht tatsächlich grün aus«, stimmte Alistair ihr zu. »Vielleicht ein Abglanz von dem Fluss oder dem Zelt oder so was.« Er lachte. »Das wäre doch lustig, wenn wir überall seltsam bunte Mäuse sehen würden, jetzt, wo wir violett sind. Dann würden wir gar nicht mehr auffallen.«
Sie kamen an das Südtor der Stadtmauer und waren froh darüber, ein anderes Tor gefunden zu haben als das bei der Brücke, wo sie den Wachen aufgefallen waren. Siereihten sich ein in die Menge von Mäusen, die durch die gepflasterten Straßen eilten. Zu Alistairs Überraschung schienen alle, die ihnen entgegenkamen, fröhlich zu grinsen. Einige brachen beim Anblick von Alistair und Tibby Rose sogar in lautes Gelächter aus. Zuerst vermutete Alistair, es hätte wohl etwas mit ihrem violetten Fell zu tun, dass die Mäuse so lachten. Doch als sie dann um eine Ecke bogen, entdeckten sie den Grund für die Heiterkeit.
Sie betraten einen belebten Platz, der von Läden und Straßencafés umgeben war. In der Mitte des Platzes war ein Springbrunnen. Alistair erkannte das gebieterische Antlitz der Statue, die den Brunnen krönte. Es war Königin Eugenia. Die Leute von Souris mussten ihre Königin wohl sehr lieben – oder aber die Königin liebte es, Abbildungen von sich zu sehen. Doch es war nicht die Statue der Königin, die die Blicke der Menge auf dem Platz auf sich gezogen hatte. Noch konnte Alistair nicht erkennen, was es war.
»Komm, lass uns mal nachsehen«, sagte er und drängte sich mit Tibby Rose bis nach vorne.
Was sie dort erblickten, war ein Gruppe von Mäusen, die ganz anders aussahen als alle Mäuse, denen Alistair jemals begegnet war. Der kleinste Mäusejunge der Gruppe war noch sehr jung, nicht älter als fünf oder sechs – und leuchtend orange. Dann kam ein Kinderpaar, das ungefähr zwei Jahre jünger war als Alistair selbst; einer davon war dunkelrot, der andere lindgrün. Sie jonglierten mit verschiedenen Dingen – der eine mit einem Apfel, einem Ei und einerZitrone, der andere mit einem Tennisball, einem Rettich und einer Kartoffel.
Die Aufsicht über die drei Kinder hatte ein stattlicher, kanariengelber Mäuserich. Er trug ein Schifferklavier um den Hals und ... Alistair merkte, wie ihn ein besonders auffallender Mäuserich mit amüsierter Miene beobachtete. Er war groß und schlank und sein Fell von einem tiefen
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