Die Entfuehrung
Tibby hielt die Hände hoch, die vom Brombeer-Frühstück noch ganz violett waren. »Wenn wir nicht bald was anderes essen, werde ich wahrscheinlich für immer violett.«
Alistair stellte sich eine violette Tibby Rose vor und fing an zu lachen – dann setzte er sich plötzlich auf. »Aber natürlich! Nicht zu fassen, dass ich nicht eher dran gedacht habe.«
Tibby setzte sich auch auf. »Äh ... du befürchtest doch wohl nicht im Ernst, dass ich dauerhaft violett werde?«, sagte sie.
»Befürchten? Nein! Im Gegenteil, wir sollten unbedingt violett werden. Wir können unser Fell doch färben!«
»Ähm, Alistair«, sagte Tibby, »du weißt doch, wie sehr wir schon als rotbraune Mäuse auffallen ... Glaubst du nicht, dass violette Mäuse noch mehr hervorstechen?«
Alistair wischte ihre Bedenken beiseite. »Natürlich fallen wir damit auf – aber falls die Leute von Souris nicht auch violette Mäuse als Feinde ansehen, was zugegebenermaßen Pech wäre, dann sehen wir einfach nur aus wie zwei Spinner, die ihr Fell in einer verrückten Farbe gefärbt haben. Es weiß doch keiner, dass unsere echte Farbe darunter rot ist. Und die Farbe wäscht sich mit der Zeit bestimmt wieder aus, wir bleiben also nicht für immer violett.«
Tibby Rose nickte bedächtig. »So gesehen«, sagte sie, »ist das eine Superidee! Das machen wir!« Sie unterbrach sich. »Wissen wir denn, wie man aus Brombeeren ein Färbemittel macht?«, fragte sie zögernd.
»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte Alistair. »Siehst du den hier?« Er wickelte sich den Schal vom Hals und hielt ihn Tibby hin, damit sie die bunten Farben bewundern konnte. »Mama hat ihre Farben immer selbst gemischt – und ich hab ihr oft dabei geholfen.«
»Wie schön, du hast ja auch deine praktischen Seiten«, sagte Tibby.
Angesichts dieser optimistischen Aussicht war Alistair auf einmal ganz beschwingt. Er sprang auf und lief zum Floß zurück. Sorgfältig sammelte er den Rest der Brombeeren zusammen – die inzwischen vom Liegen in der Mittagssonne etwas warm und schon überreif waren –, füllte sie in die zwei schalenförmigen Paddel und schöpfte eine Handvoll Wasser dazu.
»Okay«, sagte er, »jetzt müssen wir sie zerdrücken und mit dem Wasser vermengen, bis ein dicker Brei daraus wird.«
Tibby machte ihm nach, wie er die Beeren zu Brei zerdrückte und diesen kräftig mit dem Wasser vermengte. »Ich hatte irgendwie gehofft, meine Arme ungefähr zehn Jahre nicht mehr benutzen zu müssen«, seufzte sie.
Nach mehreren Minuten Zerdrücken und Quetschen und Rühren entschied Alistair, dass ihre Mischung nun die richtige Konsistenz hatte, und sie fingen an, die violette Paste auf ihr Fell zu streichen.
»Pass auf, dass es überall hinkommt«, befahl Alistair. »Hinter die Ohren, zwischen die Zehen – alles, was rotbraun ist. Komm, ich reib dir den Rücken ein und du mir meinen.«
Als sie vollständig mit dem violetten Brei zugekleistert waren, streckte Alistair den Kopf durch den Vorhang aus grünen Zweigen.
»Keiner zu sehen«, sagte er und winkte Tibby Rose herbei. »Komm, wir müssen die Farbe jetzt in der Sonne trocknen lassen.«
Als der Brombeerbrei zu einer harten Kruste geworden war, sagte Alistair: »Das sollte reichen. Jetzt waschen wir das Zeug ab.« Er watete in den Fluss. Zuerst fröstelte er, als das Wasser seine Beine kalt umspülte. Dann holte er tief Luft, wappnete sich und tauchte unter. Das kalte Wasser war ein Schock, der ihn allerdings belebte. Er vergaß, wie müde er war, vergaß seinen Hunger und seinen Muskelkater und erinnerte sich stattdessen an sonnige Tage in dem grünen Tal unter dem Wasserfall draußen vor Smiggins; an Wasserschlachten mit seinem Bruder und seiner Schwester, an den flinken, sauberen Freistil von Tante Beezer, an Onkel Ebenezers bedächtiges Rückenschwimmen, bei dem sein runder Bauch hoch über die Wasseroberfläche ragte.
Alistair tauchte wieder auf. Wasser rann aus der violetten Kruste auf seinem Fell. »Wow!«, sagte er. »Fühlt sich das nicht super an?«
Zu seiner Überraschung stand Tibby immer noch am Ufer.
»Los, Tib«, sagte er. »Anfangs ist es zwar kalt, aber wenn du erst mal drin bist, ist es toll.«
Tibby machte einen vorsichtigen Schritt aufs Wasser zu, dann blieb sie stehen. »Ich – ich kann nicht schwimmen«, sagte sie mit verlegener Miene.
Alistair öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Natürlich ... Wann sollte sie das auch gelernt haben, wo sie doch ihr ganzes Leben in dem Haus
Weitere Kostenlose Bücher