Die Entführung der Musik
mal wirklich allein losziehn!«
»Aber natürlich.« Jon-Tom unterdrückte ein Lächeln. »Ich weiß, daß ich da draußen keine Chance hätte, wenn du nicht über mich wa- chen würdest.«
»Na gut, solange du das weißt«, knurrte der Otter mürrisch. Dann trat er beiseite und ließ Naike und die Prinzessin vorbei.
Abgesehen von den beiden schlafenden Dienerinnen, die wie zwei weiche Skulpturen aufrecht auf den Stühlen saßen, lag die Rundhalle noch immer verlassen da. In dem Gebäudekomplex schliefen noch alle. Insbesondere hallte kein wütendes Trompeten aus einem weit entfernten, abgeschnittenen Korridor durch die Gänge.
Noch immer sicher! stellte Jon-Tom beruhigt fest, doch fragte er sich, wie lange der dumme Bann (denn dumm war er) wohl noch hal- te.
Die Nachbartür zu Aleaukaunas Raum ließ sich durch einen weite- ren der verzierten Schlüssel an Naikes Bund öffnen. Aleaukauna schob sich an dem Leutnant vorbei und flüsterte mit dringlicher Stimme in das vom Mond erleuchtete Innere hinein. Von seinem Standort in der Rundhalle aus erkannte Jon-Tom, daß das Zimmer dem Wohn- und Gefängnisraum Aleaukaunas äußerst ähnlich war.
»Umagi! Ich bin es, Aleaukauna. Erhebe dich. Tapfere Soldaten sind aus Harakun gekommen, um uns zu befreien!«
»Wirklich?« Die Stimme klingt ja ziemlich tief, dachte Jon-Tom, aber dennoch eindeutig weiblich. »Es wird auch allmählich Zeit. Ich wünschte, von meinen eigenen erfolglosen Leuten könnte ich das glei- che sagen.«
Aus dem Innern drangen die Geräusche emsiger Tätigkeit, und dann traten die Prinzessin und Naike heraus, gefolgt von einer wuchtigen, in gelbes und schwarzes Velours gekleideten Gestalt.
Die erhabene Prinzessin Umagi von Tuuro war eine sehr elegante, sehr beeindruckende und sehr große Berggorilladame. Jon-Tom schätzte ihr Gewicht auf drei bis vier Zentner (es war schwierig, etwas Genaueres zu sagen, weil fast ihre ganze Gestalt von dem fließenden Velours verhüllt war). Auf die kräftigen Füße und einen Handknöchel gestützt, schob sie mit der anderen Hand die Zipfel des schwarz- silbernen Schals zurück, den sie sich um die Stirn gebunden hatte. Ein dazu passender durchsichtiger Schleier verhüllte ihr Gesicht.
Jon-Tom stellte fest, daß er sich über Manzai, nicht über sie Gedan- ken machte. Dann beugte er sich zu Mudge hinüber und flüsterte: »Na?«
»Was, na, Kumpel?«
»Willst du ihr nicht höflicherweise die Hand küssen?«
»Bin mir nich sicher, ob ich die 'eben kann, Kumpel. Warum ver- suchst du's denn nich mal?«
Jon-Tom richtete sich auf. »Ich bleibe bei einem einfachen ›Guten Tag‹, wie immer.«
Prinzessin Umagi umarmte Aleaukauna, wobei die Mungoprinzes- sin fast unter der ausladenden Menschenäffin verschwand. »Und die anderen?« fragte die Gorilladame.
Aleaukauna nickte entschieden. »Eine nach der anderen. Wir lassen keine als Spielzeug für unseren Entführer zurück.«
Aus der nächsten Zelle befreiten sie Quiquell von Opan, eine sei- denhaarige Ameisenbärin, die nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Zunge außerordentlich schnell und geschickt bewegte. Mit die- sem ungewöhnlichen Organ schenkte die dankbare Prinzessin jedem ihrer Retter ein Lecken, wobei sie dem überrumpelten Jon-Tom rund ums Gesicht fuhr, bevor sie schließlich mit der Zungenspitze seine Lippen berührte. Es war, überlegte er leicht betäubt, ein Kuß wie kein anderer.
Im Gegensatz dazu war ihre Stimme ein kaum hörbares Flüstern - was dem außerordentlich schmalen Mundraum entsprach, aus dem sie hervorkam.
»Zur Hälfte geschafft«, bemerkte Aleaukauna knapp, während sie weitergingen.
Wer kam wohl als nächstes? fragte sich Jon-Tom. Zu welcher Art würde sie gehören? Eine der Dienerinnen stieß einen Seufzer aus, und erschreckt drehte er sich zu den schlafenden Waschbärinnen um. Wie lange noch konnte die Rettungsmannschaft damit rechnen, unbemerkt zu bleiben? Beunruhigt wurde ihm klar, daß sie ihr Glück bis zum äu- ßersten ausreizten.
Aus der nächsten Kammer befreiten sie Seshenshe von Paressi Glis- sar, eine Luchsdame von edlem Körperbau und mit erlesenen Um- gangsformen. Sie bedankte sich überschwenglich, wobei Jon-Tom ei- nen beunruhigenden Moment lang die weißesten und schärfsten Zähne sah, die seinem Gesicht je so nahe gekommen waren.
Alles kein Problem, versuchte er sich einzureden, als Naike mit dem Schloß der nächsten Zelle kämpfte. Wir haben alles im Griff.
Dann schob der Leutnant die Absperrung vor
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