Die Entführung der Musik
konzentrierte. Diesmal stellte sich ihnen nichts entgegen. Der Durchgang öffnete sich zu einer zweiten Rundhalle, die kleiner und höher war als die erste, ihr sonst aber glich.
Als sie sich dem schwach erleuchteten Raum näherten, bat Naike sie, langsam zu gehen. An der westlichen Seite des überkuppelten Raumes befand sich eine Reihe verriegelter Türen. Aus mehreren drang leise Musik. Hier konnte selbst Jon-Tom den Duft riechen. Auf der jenseitigen Seite der Rundhalle führte ein weiterer Korridor ins Dunkle.
An einem Tisch in der Mitte des Raumes saßen sich zwei Waschbä- rinnen gegenüber, zwischen sich ein Spielbrett, das auf den ersten Blick einer Schachvariante ähnelte, bei näherer Betrachtung aber Spielfiguren ganz anderer, obszöner Art zeigte. Das Spiel war Jon- Tom unbekannt, und er verwendete auch nicht viel Neugier darauf, seine Regeln zu durchschauen.
Die Ausstattung des Raumes war fast schon üppig zu nennen. Über- all lagen feine Seidenkissen und dicke Polster verstreut. Ungeachtet des deutlich sichtbaren Luxus waren die Schlösser der von der Rund- halle abgehenden Türen schwer und stabil, desgleichen die vergolde- ten Gitter vor dem kleinen Fenster einer jeden Tür.
»Aleaukauna muß in einer dieser Zellen sein«, flüsterte Naike.
»Die erste links.« Karaukul hatte die beste Nase des Trupps. »Hier gibt es viele interessante Gerüche. Manche sind merkwürdig, aber...«
»Kümmere dich nicht darum«, entgegnete knapp der Leutnant. »A- leaukauna ist die einzige, die uns interessiert.«
»Was ist mit den Dienerinnen?« Heke wies auf die mit sich selbst beschäftigten Waschbärinnen.
»Ich könnt sie mit meinem Charme bezaubern«, schlug Mudge munter vor.
Jon-Tom antwortete sofort: »Besser, wir versuchen etwas, das viel- leicht auch gelingt.«
»Wie ein weiterer deiner ortsspezifischen Banngesänge?« schoß der Otter zurück.
»Das scheint mir die nächstliegende Wahl.« Naike war der Sarkas- mus völlig entgangen. Oder vielleicht ging er auch nur darüber hin- weg. »Warum schläfert Ihr sie nicht ein wie den Gärtner?«
»Da mußte ich mir keine Sorgen darüber machen, daß mir der Banngesang mißlingen könnte«, erwiderte Jon-Tom. »Er war unser Gefangener und konnte nicht weglaufen, wenn es nicht auf Anhieb geklappt hätte.« Er betrachtete die beiden Frauen mit der natürlichen Maske. »Wenn ich es bei diesem Paar versuche, und der Gesang ge- lingt nicht, sondern macht sie nur auf uns aufmerksam, könnten sie uns entkommen und das ganze Haus aufwecken.«
»Dann scheinen direktere Methoden hier eher angebracht.« Der Leutnant nahm einen Seidenschal aus seiner Hüfttasche, hielt ein Ende in jeder Hand und drehte ihn zweimal um sich selbst. »Heke, du und Pauko, ihr nehmt die zur Linken. Karaukul, du kommst mit mir.«
»'ör mal, Chef, un was ist mit uns?« fragte Mudge.
»Mach, was du willst, aber halt dich heraus. Diese Art von Tätigkeit fällt in unsere Zuständigkeit.«
Bevor Mensch oder Otter noch etwas äußern konnten, waren die vier Soldaten schon in die Rundhalle eingedrungen. Wenn sie auch nicht ganz so behende waren wie Mudge, so liefen sie doch noch schneller als er. Bevor die zwei Dienerinnen überhaupt reagieren konnten, lagen sie schon gebunden und geknebelt auf dem Boden. Zwar hatten sie sich wild gewehrt, doch für die durch lange Wander- schaft gestählten Soldaten waren sie keine Gegner. Wütend funkelten zwei Paar Augen Naike über die Seidenknebel hinweg an.
Jon-Tom, der sich angesichts einer solchen Behendigkeit klobiger denn je fühlte, hielt sich gern zurück, bis die Mungos mit ihrer Arbeit fertig waren und sich die Ohren verstopft hatten. Erst dann sang er das Schlaflied, das er für den Gärtner verwendet hatte. Bei den zwei Die- nerinnen wirkte es ebensogut. Die Soldaten setzten die in Tiefschlaf gefallenen Waschbärinnen auf ihren jeweiligen Stuhl. Wer zufällig vorbeikam und sie so sah, mußte denken, sie seien bei ihrem Spiel eingeschlafen.
Naike verschwendete keine Zeit auf eine wohlgefällige Betrachtung ihrer Arbeit, nahm den verzierten Schlüsselbund vom Gürtel der älte- ren Dienerin und eilte zur ersten Zelle. Der dritte Schlüssel paßte ge- nau ins Schloß. Als Naike die Tür aufstieß, regte sich drinnen nichts. Sie drängten hinein, und Jon-Tom schloß geräuschlos die Tür.
Ohne jede Frage war es das prächtigste Gefängnis, das er je gesehen hatte. Zwei Stockwerke hoch bedeckten dicke Vorhänge die Fenster- gewölbe am
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