Die Entführung in der Mondscheingasse
vierreihig
und im Schrittempo. Vor dem Blumengeschäft auf der anderen Seite ließen alle
Pflanzen Köpfe und Blätter hängen. Sie vertrugen den Abgas-Brodem nicht so gut
wie die menschlichen Lungen, sondern zeigten Sofort-Schäden — die bekanntlich
eher eintreten als Spätschäden.
Die Serviererin brachte die Getränke.
„Und mein Eis?“ schnappte Klößchen.
„Das kommt gleich.“
„Na, hoffentlich“, meinte er ungnädig. „Auh!“
Verdutzt sah er Tarzan an, der ihn
unterm Tisch getreten hatte.
„Mann, Willi, laß nicht deine Gier so
raushängen! Ein starker Typ hat sich fest im Griff.“
„Ich bin ein Schokoladen-Freak und kein
Hungerkünstler. Bei der Hitze muß ich mich mit Kühlung füllen, sonst kriege ich
Fieber.“
„Aber laß die Serviererin in Ruhe. Sie
kann nichts dafür. Siehst ja, wie sie...“
Tarzan stockte und beugte sich
angespannt vor, bevor er vollendete: „...rennt.“
Karl folgte seinem Blick über die
Straße, wo Gehlert eben in Richtung St. Peter-Kirche über den Asphalt sockte.
„Der rennt jedenfalls nicht“, lachte
er, „der latscht. Die hohe Miete ist ihm wohl doch auf den Magen geschlagen.
Bähhhh... so ein Ferkel!“
Eine berechtigte Bemerkung, denn
Gehlert spuckte in diesem Moment auf den Gehsteig. Unmanierlich, unappetitlich
— echt wie ein Prolo, der total versifft (verwahrlost) ist und der
Umwelt die Kante zeigt.
„Kids!“ flüsterte Tarzan. „Ich glaub’,
mich skalpiert der Rasenmäher. Das kann doch nicht... Doch, aber ja! Nein,
völlig unmöglich. Bedenke ich jedoch... Heh, versteht ihr, was ich meine?“
„Völlig klar“, nickte Karl. „Du hast
dich noch nie so deutlich ausgedrückt.“
„Wenn ich jetzt mein Eis nicht kriege“,
nörgelte Klößchen, „mache ich Randale in der Küche. Die wollen mich wohl
martern, was?“
Tarzan schloß die Kiefer, als müsse er
einen Gartenschlauch durchbeißen. Der Blick bohrte sich in Gehlerts Rücken. Das
blonde Haar verlief V-förmig im Nacken. Jetzt bog der Mann um die Ecke und ließ
eine gewaltige Lücke in Tarzans Blickfeld zurück.
„Tarzan“, sagte Karl, „bist du
hypnotisiert?“
Tarzan ließ Atem durch die Zähne ab,
was so scharf klang, daß sich am Nebentisch zwei Kaffeetanten umsahen.
„Wißt ihr, Freunde“, sagte er gedämpft,
„wer das ist, der Gehlert? Eben habe ich ihn erkannt. Nicht am Gesicht, nicht
am Schädel. Da ist alles neu und anders. Die Figur — hm — die gibt’s öfter. Die Art seiner Fortbewegung, die latschigen Schleichschritte — das
paßt genau. Aber erkannt habe ich ihn nur daran, wie er spuckt. Genau so hat er
im Hallenbad des Tyroler Hofs gespuckt. Es ist Uckmann.“
Klößchens Schokoladeneis wurde serviert,
ein Riesenbecher.
Keinen Blick hatte Klößchen dafür. Er
starrte Tarzan an.
„Bitte!“ sagte die Serviererin spitz.
Tarzan lächelte ihr zu und dankte — weil
wenigstens einer, straßauf/straßab, Manieren haben mußte, was man von Gehlert/Uckmann
nicht behaupten konnte. Und von Klößchen, heute, leider auch nicht.
„Bist... bist... du sicher?“ flüsterte
Karl, sobald die Serviererin Abstand hatte.
„Absolut.“ Tarzan nickte. „Eben fiel’s
mir wie Schuppen von den Augen.“
Klößchen gab einen erstickten Laut von
sich.
„Di...die... Stimme ist es ja. Die Frau
Dießen ist ja auch gehüpft, wie vom Floh-Monster gebissen. Aber... Gehlert
sieht nicht wie Uckmann aus. Meinst du, er hat sich wieder maskiert? Einmal hat
er ja schon — als er den Heyse spielte.“
„Maskiert?“ Tarzan schüttelte den Kopf.
„Das ist keine Maske. Das ist ein neues Gesicht. Überlegt mal! Nach dem
mißglückten Mordanschlag wußte er, daß er sich als Uckmann nirgendwo mehr sehen
lassen kann. Also hat er sich ausradiert. Aber nicht nur, indem er sich neue — gefälschte
— Papiere verschaffte, sondern ganz. Er hat sich in einen andern verwandelt.
Mit neuem Gesicht. Kosmetische Chirurgie nennt man das, wie ihr wißt.
Schönheitsoperation. Ärzte besorgen das, nämlich die Chirurgen, jene also, die
sich darauf spezialisiert haben. Sie verjüngen Alte, indem sie ihnen die Falten
wegschneiden und alles glätten, was schrumpelig ist. Aber sie bauen auch völlig
um, können ein Gesicht so verändern, daß aus einem Mann eine Frau wird — und
umgekehrt. Alles ändern sie dann: Nase, Wangen, Profil (Seitenansicht), den Schnitt von Mund und Augen, sogar die Beschaffenheit der Haut. Profildesign (Design = Gestaltung) nennt man das, habe ich gelesen.
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