Die Entfuehrung
würde wahrscheinlich im Fernsehen verfolgen, wie sie von FBI-Agenten umringt war, und womöglich daraus schließen, dass sie ihr Versprechen gebrochen hatte, das FBI herauszuhalten. Aber Tanya würde es einfach verstehen müssen. »Okay«, sagte sie zu ihren Begleitern. »Bringen Sie mich hier raus.«
Vincent Gambrelli stand ruhig und unbeeindruckt von dem Medienzirkus hinter der gelben Absperrung. Die Reporter drängelten rücksichtslos von beiden Seiten. Kameras wurden ihm in den Rücken gestoßen. Dennoch bewegte er sich kein bisschen von seinem Platz auf dem Gehweg weg.
Er trug einen langen Wollmantel und klassische Geschäftsleute-Schuhe mit Gummisohlen. Sein kahler Schädel war geschickt unter einer gut sitzenden dunkelblonden Perücke versteckt. Seine Sehkraft war ausgezeichnet, aber eine Brille mit Schildpattgestell und einfachen Sichtgläsern vervollständigte seine Tarnung. Getönte Kontaktlinsen färbten seine blauen Augen braun. Mit Bühnenschminke hatte er seiner Nase ein fleischigeres Aussehen verliehen. Er hatte sich einen optimalen Beobachtungsplatz ausgesucht - gegenüber dem Ausgang für Angestellte und Gäste -, der zu ebener Erde auf die Pennsylvania Avenue führte. Die kleine Vorhalle führte auf einen gepflasterten Hof mit einem Springbrunnen, Parkbänken und einer Gedenktafel zu Ehren von J. Edgar Hoover.
»Da ist sie!« schrie irgend jemand.
Gambrelli spähte durch die Fenster der Vorhalle nach innen bis zu den Aufzügen. Sein Blick erfasste die blonde Frau, die auf dem Weg zur Tür war und forsch auf die Menge zuschritt. Beiläufig glitt seine rechte Hand in seine Manteltasche, so dass er blitzschnell seine Glock-17-Pistole ziehen könnte.
So einfach, dachte er. Es wäre so verdammt einfach.
Die Tür wurde aufgestoßen. Heraus kam Allison Leahy
Die Menge drängte vorwärts. Eins der Absperrgitter stürzte um. Ein Kameramann ging zu Boden und wurde mitsamt seiner Ausrüstung überrannt.
Gambrelli stand wie ein Fels im wogenden Irrsinn. Leahy war noch nicht zur Tür hinaus, als sie schon von der Meute aufgehalten wurde. Mikrofone schoben sich beinahe in ihr Gesicht. Reporter stolperten übereinander im Kampf um den besten Platz. Galgenmikrofone wurden über die Köpfe hinweg geschwenkt. Sie war umzingelt vom Chaos - von hysterischen Fremden, die nur einige Zentimeter von ihrem ungeschützten Kopf und Rumpf entfernt waren. Es war unmöglich zu unterscheiden, welche Hand zu welchem Körper, welches Mikrofon zu welchem Reporter gehörte.
Zu einfach, dachte er. Wo ist da die Herausforderung? Das würde sogar sein Neffe schaffen - Tony, der Penner, der gerade mal dazu taugte, im Haus herumzuhängen und den Babysitter für Kristen Howe zu spielen, während sein Onkel ausging.
Leahy hatte das Wort ergriffen. Sie gab gegenüber den Medien eine kurze Stellungnahme ab und parierte einige Fragen. Ihr Gesichtsausdruck war ernst. Intelligent. Attraktiv. Eine sehr beeindruckende Kombination. Eine höchst attraktive Zielscheibe.
Gambrellis Grinsen verschwand. Die Träumerei hatte ein Ende. So verlockend die Situation auch sein mochte, er war nicht hier, um Leahy abzuknallen. Jedenfalls nicht heute.
Er sah, wie sie alle weiteren Fragen abwimmelte. Ihre kurze Stellungnahme war vorüber. Vier Männer in dunklen Anzügen bahnten ihr eine Gasse. Sie kämpften sich auf dem Gehweg langsam in Richtung Bordstein vorwärts. Eindeutig FBI-Leute! Vier Agenten schirmten die Justizministerin ab -trotz seiner Warnung.
Sein Gesicht rötete sich vor Ärger. Hatte sie etwa seine Botschaft nicht erhalten? Oder ignorierte sie seine Anweisungen?
Wütend beobachtete er, wie sie mit ihrem Gefolge die Straße überquerte und das Justizministerium ansteuerte. Offene Missachtung. Das war es. Es gab keine andere Erklärung. Er hatte sie davor gewarnt, das FBI einzuschalten. Die Veranstaltung in der U-Bahn hätte ihr eigentlich klarmachen sollen, dass er Ungehorsam nicht tolerieren würde. Ihre Reaktion war eine beeindruckende Parade auf der Pennsylvania Avenue, geschützt von einer FBI-Eskorte. Glaubte sie etwa immer noch, er würde nur bluffen? Setzte sie darauf, dass ihm der Mumm fehlte, seine Drohungen wahrzumachen?
Arrogante Schlampe.
Er entfernte sich eilig von der Menge. Einfach inakzeptabel. Es war höchste Zeit, deutlich zu machen, dass er meinte, was er sagte.
49
Allison hatte nicht die Zeit, auf Tanyas Anruf hin nach Nashville zu Jetten. Nach gutem Zureden hatte Tanya sich allerdings einverstanden erklärt,
Weitere Kostenlose Bücher