Die Entfuehrung
war, aufs Ganze zu gehen - nur so konnte sie sicher sein, dass sie für das, was sie aufgab, etwas zurückbekommen würde. Aber das Gefühl, das Richtige getan zu haben, konnte den Knoten in ihrem Magen auch nicht lösen.
Das zweite Foto war fertig ausgedruckt. Sie sah es sich noch einmal an - nach acht Jahren der erste Blick auf die Tochter, die sie verloren hatte. Sie nahm den Diplomatenkoffer, der neben ihrem Schreibtisch stand, verstaute die Fotokopien und eilte zum Aufzug.
50
»Das ist Selbstmord«, sagte Harley. »Wenn Ihre Frau das FBI ausschaltet, begeht sie Selbstmord.« Er beobachtete Peter aufmerksam, um seine Reaktion einschätzen zu können.
Allisons aufsehenerregender Abgang hatte genau für die Ablenkung gesorgt, die Harley gebraucht hatte, um das Hauptquartier unbemerkt durch einen Seitenausgang verlassen zu können. Er hatte das Justizministerium durch den Hintereingang betreten und war direkt in das Kellergeschoß gegangen. Peter und die FBI-Agenten waren noch dort und warteten auf Allison. Harley hatte nur einige Minuten benötigt, um Peter einzuheizen. Er wusste, dass jeder Ehemann krank vor Sorge wäre, und so hoffte er, dass er Peter dafür gewinnen könnte, seine Frau wieder zur Vernunft zu bringen
»Seltsam«, sagte Peter. Er wirkte unbeteiligt, philosophisch. »Das ist genau das, was ich ihr vor einem Jahr vorhergesagt habe, als sie beschloss, sich um das Amt der Präsidentin zu bewerben. Es ist Selbstmord.«
»Das muss es aber nicht sein.«
Er setzte eine anklagende Miene auf. »General Howe, nicht wahr? Ich wette, er hat die Schläger beauftragt, sich das Lösegeld zu schnappen und alles zu vermasseln. Ich habe ihn heute Morgen im Fernsehen gesehen, wie er Allison kritisiert und den Familien dieser jugendlichen Delinquenten sein Mitgefühl ausgesprochen hat. Er will, dass Allison versagt.«
»Mag sein, dass er das will«, sagte Harley. »Aber ich glaube nicht, dass er den Plan ausgeheckt hat. Ich habe mittlerweile sogar meine Zweifel, dass er überhaupt etwas mit der Entführung zu tun hat.«
»Wieso das?«
»Vor dem letzten Anruf hat niemand gewusst, dass der Entführer Allison in die U-Bahn schicken würde. Von diesem Moment an ging alles viel zu schnell, als dass irgendwer, der nicht schon vorher Bescheid wusste, den Plan hätte aushecken können. Diese Typen waren, bevor sie wirklich da unten war, von jemandem angeheuert worden, der wusste, dass sie in die U-Bahn gehen würde.«
»Was meine These ja nur bestätigt. General Howe wusste, dass sie in die U-Bahn gehen würde, weil er sie dahin geschickt hatte.«
»Das ist sicherlich das Ergebnis Ihrer Überlegungen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Theorie stimmt.«
»Welche Theorie gibt es denn noch?«
Als die Aufzugtür sich öffnete, hielten sie in ihrem Gespräch inne. Allison trat heraus. Sie sah erst zu Peter, dann zu Harley
»Was machen Sie denn hier?« fragte sie Harley.
»Mr. Abrams wollte gerade seine neueste Theorie über den Fall darlegen«, sagte Peter.
Sie starrte Harley wütend an. »Mr. Abrams sollte eigentlich wissen, dass, wenn das FBI nicht mit mir reden darf, es auch nicht mit meinem Mann zu reden hat.«
»Nur weil Sie sich vom FBI abnabeln«, erwiderte Harley, »bedeutet das noch lange nicht, dass sich das FBI auch von Ihnen abnabelt. Ich werde Sie in jedem Fall wissen lassen, was ich denke und tue. Andernfalls bringen Sie sich in Gefahr, getötet zu werden.«
»Er hat recht«, sagte Peter. »Lass uns anhören, was er zu sagen hat. Fahren Sie fort, Detective.«
Harley wollte einwenden, dass er Special Agent und nicht Detective war, aber solange Peter auf seiner Seite war und die Rolle von Sherlock Holmes spielte, warum sollte er es sich mit ihm verderben? »Allison wird es nicht bestätigen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Entführer bei ihrem jüngsten Kontakt Informationen über Emilys Aufenthaltsort übermittelt haben.«
Peter sah sie erstaunt an. »Stimmt das?«
»Peter«, stöhnte sie. »Später, okay?«
Harley sah sie kühl an. »Es gibt kein später, Allison. Wenn man Ihnen etwas gesagt hat, sollten Sie es mir erzählen. Wenn man Ihnen irgend etwas gegeben hat, sollten wir es sofort ins Labor bringen und analysieren lassen.«
Sie überlegte. Seine Bemerkung über das Labor erschien ihr sinnvoll. Widerstrebend zog sie die Fotos aus ihrer Handtasche und überreichte sie Harley. »Der Entführer hat das an Tanya geschickt, damit sie es an mich weitergibt. Das sind
Weitere Kostenlose Bücher