Die Entfuehrung
zurückzuholen.«
»Ich auch. Aber das bedeutet nicht, dass ich bereit bin, mich vom FBI abzunabeln und die Marschbefehle der Entführer entgegenzunehmen.«
»Vielleicht habe ich keine andere Wahl.«
»Oder vielleicht reagieren Sie mehr wie eine Mutter und nicht so sehr wie eine Justizministerin.«
»Kristen ist nicht mein Kind.«
»Nein. Aber Emily.«
Allison starrte ihn an. »Was wissen Sie von Emily?«
»Nichts. Aber ich kenne Sie. Die Tränen. Die plötzliche Bereitschaft, das FBI außen vor zu lassen. So würden Sie sich nicht verhalten, wenn nicht Ihre persönliche Betroffenheit mit im Spiel wäre.«
»Halten Sie mich für so egozentrisch?«
»Nein. Das ist einfach die menschliche Natur. Es gibt eine Grenze bei dem, was wir für das Kind von jemand anderem tun würden. Bei unserem eigenen Kind gibt es keine solche Grenze. « Er trat näher, beugte sich über den Tisch und sah ihr direkt in die Augen. »Im Umschlag war etwas über Emily, stimmt's ?
Einen Moment lang starrte sie ihn an, wandte dann aber den Blick ab. »Das kann ich jetzt wirklich nicht diskutieren«, sagte sie und nahm ihre Handtasche.
Harley legte seine Hand auf ihren Unterarm und hielt sie auf. »Sie sollen eins wissen, Allison. Wenn Sie sich entschließen können, mir etwas im Vertrauen mitzuteilen, garantiere ich Ihnen, dass es diesen Raum nicht verlassen wird. Sie haben mein Wort darauf.«
Sie sah ihn abschätzend an. Offensichtlich meinte er es ehrlich, aber sie sah keinen Grund, sich ihm jetzt anzuvertrauen. »Vielleicht sollten Sie das Lösegeld hier im Tresor behalten. Ich melde mich dann wieder.« Sie ging zur Tür.
Er hielt sie noch einmal auf. »Allison, bitte. Nehmen Sie es nicht allein mit diesem Typen auf. Die Entführer waren anfänglich vielleicht ein bisschen desorganisiert, aber das alles hat sich geändert. Selbst die Stimme am Telefon war eine andere. Es kommt mir so vor, als hätte jemand anders die Sache in die Hand genommen. Er hat uns in Nashville geschlagen. Er hat uns heute Morgen wieder geschlagen. Er gewinnt nicht, weil das FBI zu dumm ist. Er gewinnt, weil er ein verdammt raffinierter Hurensohn ist.«
Sie sah ihn an. »Dann werde ich wohl noch raffinierter sein müssen.« Sie öffnete die Tür und eilte hinaus, während Harley allein zurückblieb.
Die Menge draußen vor dem FBI-Gebäude wuchs von Minute zu Minute. Der Ansturm war ausgelöst worden, als das Fernsehen darüber berichtet hatte, wie der Kleinbus mit Allison in der FBI-Garage verschwunden war. Als erste waren die Reporter vor Ort gewesen, die die ganze Zeit außerhalb des Justizministeriums gewartet und bis zum Erscheinen der Nachrichten nicht mitbekommen hatten, dass sich Allison von ihrem Büro aus über die Marilyn-Monroe-Fluchtroute davongeschlichen hatte. Sie brauchten ihren mobilen Hinterhalt bloß über die Pennsylvania Avenue hinweg vom Justiz-zum FBI-Gebäude zu verlegen. Kurz nach der ersten Welle von Journalisten kamen weitere Horden - unglückselige Spätankömmlinge in einer Industrie, die zunehmend mit Live-Berichterstattungen operiert.
Die Kameras waren auf alle bekannten Ausgänge des Gebäudes gerichtet. Allison wusste, dass das FBI sie hätte unentdeckt hinausbringen können, aber sie wollte kein zweites Mal heimlich verschwinden. Die ganze Welt wusste, dass sie sich im Gebäude befand. Wenn sie sich den Kameras nicht stellte, würde sie als Feigling abgestempelt werden. Nach einem Jahr Wahlkampf konnte sie das Markenzeichen » Feigling« nicht akzeptieren, nicht einmal in einem Wahlkampf, dessen Aussichten längst nicht mehr trübe, sondern eher hoffnungslos waren.
Ihre FBI-Begleiter trafen sie in der Lobby beim Angestellteneingang. Roberto, der ihr am längsten gedient hatte, sprach für die Gruppe. »Mister Abrams hat uns mitgeteilt, dass Sie uns vielleicht nicht mehr brauchen. Aber zumindest würden wir Sie gerne aus dem Gebäude hinausbringen. Ohne Begleitschutz wird man Sie in Stücke reißen.«
Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Die Gehwege waren mit Menschen überfüllt. Die Medienleute standen Schulter an Schulter auf beiden Seiten der Pennsylvania Avenue. Berittene Polizei und Absperrungen hielten Fußgänger davon ab, sich auf die Straße zu begeben. Polizisten diskutierten mit den Fahrern von illegal geparkten Kleinbussen, die den Verkehr blockierten. Es sah aus wie eine Paradestrecke am Tag der Amtseinführung, nur dass jeder Anwesende ein Journalist war.
Allison zuckte hilflos die Schultern. Tanya
Weitere Kostenlose Bücher