Die Entfuehrung
haben. Damit hat er im Grunde zugegeben, dass entweder er oder seine Tochter von Anfang an die Forderung dem FBI mitgeteilt haben, entgegen den Anweisungen der Entführer.«
»Das kann ich ihm nicht verdenken. Diese Schlussfolgerung hätten die Entführer sowieso gezogen, sobald die Forderung publik wurde.«
»Mag sein. Aber läge ihm das Leben seiner Enkelin wirklich am Herzen, hätte er die im Brief angegebene Zeit genutzt, den Entführern zu versichern, dass er und seine Tochter sich ja an die Anweisungen halten wollten. Er hätte sagen können, dass niemand das FBI eingeweiht hat und dass irgendein schmieriger Reporter eine Wanze in Tanyas Haus angebracht und Gespräche über das Lösegeld abgehört haben muss. Stattdessen hat er im Prinzip zugegeben, dass er das FBI eingeschaltet hat, und damit konnte er erneut eine politische Breitseite gegen Sie abfeuern. Das beunruhigt mich, vor allem, wenn man die subtileren Aspekte seiner Show näher betrachtet.
»Welche wären das?«
»In erster Linie die Art, wie er über seine Enkelin spricht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es war mir schon vorher aufgefallen, aber in der Sendung ist es richtig deutlich geworden. Er bezeichnet Kristen nie als meine Enkelin . Er erwähnt sogar kaum einmal ihren Namen. Er bezeichnet sie als dieses unschuldige Kind oder dieses kleine Mädchen oder dieses arme Kind . Es handelt sich um Nuancen, auf deren Bedeutung ich vor etwa zehn Jahren gestoßen bin, und zwar bei einem meiner ersten Fälle, nachdem ich zur CASKU gewechselt war. Ein drei Monate altes Baby war verschwunden. Wir haben zuerst den Vater vernommen. Anfangs sprach er davon, wie glücklich er und seine Frau waren, als sie mit unserem Baby aus dem Krankenhaus gekommen waren - wie sehr sie die kleine Amy liebten. Dann, im weiteren Verlauf der Vernehmung, sprach er darüber, dass das Baby während der ganzen drei Monate nicht mehr aufhörte zu schreien und dass das Baby eine Belastung für die Ehe wurde. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill? Von wegen Amy . Von wegen unser Baby . Er distanzierte sich selbst. Nachher stellte sich heraus, dass der Vater das Baby getötet hatte.«
Der Gedanke ließ sie frösteln. »Aber wie könnte das in diesem Fall sein? Was ist mit den Fotos, die in der Nacht nach der Entführung gemacht wurden - die, auf denen Lincoln Howe sich auf dem Rücksitz seiner Limousine die Augen ausweint?«
Abrams war ungerührt. »Es gibt zwei Arten von Tränen. Tränen der Trauer. Und Tränen der Reue.«
Sie sahen sich an.
»Wollen Sie sagen, Lincoln Howe hätte die Entführung seiner Enkelin arrangiert?
»So weit würde ich nicht gehen. Noch nicht. Aber lassen Sie uns die Möglichkeiten durchspielen. Irgendein Untergebener inszeniert die Entführung, um seinen Kandidaten ans Ziel zu bringen. Lincoln Howe findet es heraus, aber unternimmt nichts dagegen. Bevor er es mitkriegt, ist Reggie Miles tot, und die Dinge geraten außer Kontrolle. Innerhalb von ein paar Stunden hängt er plötzlich tiefer drin als Nixon im Watergate-Skandal.«
Allison lehnte sich zurück und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wie Lincoln Howe tatsächlich so etwas tun könnte. Wir hatten unsere Differenzen, aber er ist ein integrer Mann.«
»Er ist ein ehrgeiziger Mann«, sagte Harley. »Unglaublich ehrgeizig.«
Allison wandte langsam den Blick ab. Ihre Augen wanderten zu den prasselnden Holzscheiten im Kamin. Schließlich sah sie Harley wieder an. »Sind Sie deshalb hergekommen? Um mit mir über mögliche Indizien gegen meinen politischen Gegner zu sprechen?«
»Im Moment leuchte ich jeden Winkel aus. Einschließlich der möglichen Verbindung zwischen der Entführung von Kristen Howe und der Entführung Ihrer Tochter vor acht Jahren.«
Allison erstarrte. Sie kannte die Gefahr, die von falschen Hoffnungen ausgeht, aber die Tatsache, dass jemand anders überhaupt eine mögliche Verbindung zu Emily in Betracht zog, war die beste Nachricht, die sie seit acht Jahren gehört hatte. »Was bringt Sie darauf, dass da eine Verbindung bestehen könnte?«
»Nichts, bis jetzt. Aber etwas möchte ich gerne näher untersuchen, und zwar die Drohungen, die Sie vielleicht in den letzten achtzehn Monaten erhalten haben. Denken Sie an Auffälligkeiten. Besonders etwas, woraus sich schließen ließe, ob derjenige, der Ihre Tochter vor acht Jahren entführt hat, wieder aufgetaucht ist.«
Allison dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Da
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