Die Entfuehrung
mir glauben musst, wenn ich dir sage, dass ich es weiß. Ich habe Erfahrung mit diesen Dingen.« Sein Gesichtsausdruck wurde bitter, als würde er plötzlich in sich selbst hineinsehen.
»Vor sechs Jahren musste ich als Zeuge vor Gericht gegen einen Mann aussagen, der in unserem Viertel Drogen verkauft hat. Er war nicht so ein kleiner Dealer von der Ecke, sondern ein größeres Tier, der alle versorgt hat. Die Polizisten haben mir gesagt, sie würden mich beschützen, wenn ich aussagen würde. Haben gesagt, ich hätte nichts zu befürchten. Also habe ich ausgesagt. Die Verhandlung war kaum vorüber, da war die Polizei schon verschwunden. Sie haben sich einen Scheißdreck um meinen Schutz gekümmert.«
»Und dann?«
Er wandte den Blick ab und tauchte noch tiefer in seine Vergangenheit. Seine Stimme klang monoton. »Eines Abends kam ich von der Arbeit nach Hause, und da habe ich sie gefunden. Sie lagen auf dem Küchenfußboden, überall war Blut. Meine Mutter und meine Schwester. Sie haben sie beide umgebracht.«
»Ist das die Schwester, von der Sie mir erzählt haben? Die, an die ich Sie erinnere?«
»Ja. Aber mach dir keine Sorgen. Du wirst nicht erschossen. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
Sie sah ihn aufmerksam an. Er kam ihr plötzlich menschlicher vor. »Warum arbeiten Sie denn für solche schlimmen Leute?«
»Das ist nicht unbedingt eine freie Entscheidung. Es geht ums Überleben. Ich war achtzehn, als das alles passiert ist. Ich habe mir ausgemalt, dass die Gangster, die meine Mom und meine Schwester umgebracht haben, als nächstes wahrscheinlich zu mir kommen und mich umbringen würden. Die Polizei war keine Hilfe. Na ja, in meinem Viertel war das nun mal so, wenn du wirklich geschützt sein wolltest, musstest du eben für - «, hier hielt er inne, weil er keine Namen nennen wollte, »also, für diesen Mann arbeiten, der dich beschützen konnte. Das habe ich dann auch gemacht. Das ist jetzt seit sechs Jahren so, und keiner hat mir was getan. Keiner wagt es.«
»Also heißt das, dass der Mann, für den Sie arbeiten, derselbe ist, der mich sucht?«
»Uns beide. Ich habe seinen Neffen umgebracht. Und aus irgendwelchen Gründen wollte sein Neffe, dass ich dich töte.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Warum wollten die mich denn töten?«
»Ich weiß es nicht. Es hat gar nichts mit dir oder mit dem, was du gemacht hast, zu tun. Irgendeiner hat einfach irgendwann, irgendwo entschieden, dass das nötig ist. Vielleicht Johnny. Vielleicht sein Bruder - der andere Mann, der in dem Haus mit dabei war. Vielleicht war es ihr Onkel. Oder vielleicht war es auch der Kerl, der uns angeheuert hat. Der Auftraggeber. Wer immer das ist.«
Beide schwiegen. Kristen sah an ihm vorbei. »Mein Großvater«, sagte sie.
»Was?«
Sie nickte zum Fernseher hinüber. Das Bild war zu sehen, aber der Ton war abgeschaltet. »Mein Großvater ist in den Nachrichten.«
Repo schüttelte die Verwirrung ab. Einen Moment lang hatte er gedacht, dass sie darauf hinaus wollte, dass ihr Großvater ihn angeheuert hatte. Er wandte sich dem Fernseher zu und schaltete den Ton ein.
Howe stand an einem Pult, hinter ihm Fahnen und Luftballons. Mit feierlicher Miene sprach der Kandidat ins Mikrofon. »Wie ich erfahren habe, ermittelt das FBI, ob die Entführung von Kristen Howe möglicherweise von einem meiner eigenen Anhänger aus taktischen Gründen inszeniert worden ist, um die Sympathie der Wähler zu gewinnen. Bisher«, sagte er mit Empörung in der Stimme, »ist das einzig Politische an dieser Entführung die Ermittlung selbst - die von meiner Kontrahentin manipuliert wird.«
Auf dem Bildschirm erschien jetzt die Moderatorin von CNN. »Sie sahen Ausschnitte aus einer Rede, die General Howe am heutigen frühen Morgen auf einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Gelände der University of Miami in Coral Gables, Florida, gehalten hat. Weder das FBI noch das Justizministerium haben bisher bestätigt oder dementiert, dass die Ermittlungen sich tatsächlich auf Anhänger von Howe konzentrieren. Justizministerin Leahy hat lediglich festgestellt, dass es unangebracht sei, Stellungnahmen zu laufenden Ermittlungen abzugeben.«
Repo schaltete den Ton ab und sah Kristen an. Mit gequälter und ungläubiger Miene fragte sie ihn: »Glaubt das FBI, dass mein Großvater Sie dafür bezahlt hat, mich zu entführen?«
Er war peinlich berührt. »Es könnte sein. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wer unser Auftraggeber ist. Aber weißt du, es
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