Die Entlarvung
befreien. Vor der Abbiegung nach Hollowood verringerte sie ihre Geschwindigkeit. Gemächlich fuhr sie über die lange, mit Kies bestreute Zufahrt auf das Anwesen zu. In der Ferne konnte sie bereits Lichter ausmachen, die ihr den Weg wiesen.
Ben Harris war rechtzeitig auf dem Flughafen eingetroffen. Ein letzter Anruf vor dem Abflug nach Birmingham ergab, daß Lucy mit einem Krankenwagen ins Reidhaven Hospital gebracht worden war. Auf dem Flughafen wimmelte es nur so vor Menschen: Geschäftsleute, Familien mit Kindern, Wintersportler mit ihren Skiausrüstungen, Transitreisende aus aller Welt. Die Cafés, Bars und Duty-free-Shops waren überfüllt, in den Wartesälen lagen erschöpfte Reisende zusammengerollt auf Sitzen und Bänken, Babys schrien, Kleinkinder erkundeten die Umgebung, Touristen, die Pauschalreisen gebucht hatten, versammelten sich um ihre Reiseleiter. Der ganze Ort pulsierte vor Leben. Der Tod stellte sich mit der PanAm-Maschine aus New York ein, die um 18.48 Uhr am Terminal 3 landete.
Sechzehn Morde gingen auf sein Konto. Er war dreiunddreißig Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei kleinen Kindern. Zusammen mit seiner Familie und seiner Schwiegermutter, die pflegebedürftig war, lebte er in Queens, New York. Er war ein angesehener Geschäftsmann, der für eine Software-Firma in der Weltgeschichte umherreiste. Er lebte bescheiden und war den Behörden noch nie aufgefallen. Als sehr junger Mann hatte er sich von seinem Onkel überreden lassen, sein berufliches Tätigkeitsfeld auszuweiten. Ein erfahrener Vietnamveteran war sein Lehrmeister gewesen, der ihm das notwendige Handwerkszeug mitgegeben hatte. Bei seinem ersten Opfer hatte es sich um einen säumigen Schuldner aus New Jersey gehandelt, den er aus nächster Nähe erschossen hatte, als der Mann in seinen Wagen steigen wollte, um zur Arbeit zu fahren. Mit diesem ersten Mord hatte er seine Bewährungsprobe bestanden und war mit weiteren Aufträgen belohnt worden. Seine Arbeitgeber nannten ihn Mike, weil er eine irische Mutter hatte. Er war ein guter Sohn gewesen, der seinen Eltern trotz der gewalttätigen Nachbarschaft, in der er aufgewachsen war, nie Schwierigkeiten bereitet hatte. Ein folgsames Kind, das pflichtbewußt seine Schularbeiten erledigt hatte. Später hatte er sich zu einem zuverlässigen Ehemann und Vater entwickelt, einem Familienoberhaupt, das sich auch liebevoll um die kranke Schwiegermutter kümmerte. Das Töten beeindruckte ihn nicht, reine Nebensache. Er war weder nervös oder aufgeregt, noch plagten ihn Gewissensbisse. Er betrachtete den Vorgang als Job, bei dem man sehr viel Geld verdienen konnte – je nachdem, wieviel Aufwand und persönliches Risiko mit einem Fall verbunden waren. So hatte er für den Tod eines Clanchefs aus Los Angeles, den er mit einer Autobombe erledigt hatte, einen Toppreis verlangen können. Mike war ein reicher Mann, der noch eine lange Berufskarriere vor sich hatte. Er lebte gesund, mied Alkohol und Zigaretten und trieb dreimal in der Woche Sport, um sich fit zu halten.
Er hatte den Londoner Auftrag übernommen. Das Geschlecht des Opfers interessierte ihn nicht. Auch die Methoden, die er anwenden sollte, waren ihm relativ gleichgültig. Zumeist konnte er selbst bestimmen, wie er im konkreten Fall vorging. Manchmal hatte er sich für Unfälle entschieden, in anderen Fällen für Raub- oder Sexualmord. Gelegentlich wurde eine einfache Hinrichtung verlangt, wenn unbequeme Gegenspieler abgeschreckt werden sollten. Ihn plagten keinerlei Skrupel. Seine Taten hatten ihn noch keine schlaflosen Nächte gekostet.
Er war im Besitz des Namens, der Adresse – geschäftlich und privat – sowie der Beschreibung der Frau, die er aus der Welt schaffen sollte. Wie sie sterben würde, war ihm überlassen. Das war ihm auch lieber. Auf diese Weise war er nicht festgelegt und konnte je nach Situation nach eigenem Gutdünken entscheiden. Er hielt große Stücke auf sich und war überzeugt von seinem Professionalismus. Vom Flughafen aus fuhr er mit der U-Bahn nach London und mietete sich in einem kleinen Hotel in der Bayswater Road ein. Er war schon mehrere Male in London gewesen. Die Stadt gefiel ihm. Eines Tages würde er seine Familie zu einem Urlaub hierher bringen. Seine Jungen würde vor allem die Wachablösung vor dem Buckingham Palace begeistern.
Man hatte ihm keine Kontaktadresse in London gegeben. Er arbeitete immer allein. Er verließ das Hotel, um etwas Eßbares für sich aufzutreiben. Mit der U-Bahn fuhr
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