Die Entlarvung
er zum Sloane Square und ging später zu Fuß zu dem Apartmenthaus in Chelsea Green.
Wie er erwartet hatte, war das Gebäude gut gesichert. Im Vergleich zu den festungsähnlichen Anlagen mancher reicher Amerikaner, die ihre Grundstücke durch abgerichtete Hunde und bewaffnetes Sicherheitspersonal bewachen ließen, wirkte das Ganze jedoch eher harmlos. Er umrundete das Gelände und prägte sich die Position der Feuerleiter ein, die sich an der Rückseite des Hauses befand. Er zählte vier Stockwerke. Ihrer Wohnungsnummer nach zu schließen, wohnte die Frau ganz oben. Kein Problem für ihn. Er hatte auch schon im zweiundzwanzigsten Stockwerk einen Auftrag auszuführen gehabt und war danach unbehelligt aus dem Haus gelangt. Er überprüfte das Türöffnungssystem, indem er willkürlich auf eine Klingel drückte. Wahrscheinlich wurde der Eingangsbereich von einer Videokamera überwacht. Für derartige Fälle trug er stets einen Hut mit einer breiten Krempe, der sein Gesicht halb verdeckte.
Eine männliche Stimme meldete sich. »Ja, bitte?«
Mike sprach betont mit Akzent. »Sam? Ich bin's, Pete.«
Die Stimme klang ungehalten. »Hier gibt es keinen Sam. Sie haben auf die falsche Klingel gedrückt.«
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Ein Versehen, tut mir leid …«, beteuerte Mike, aber der verärgerte Mann hatte die Sprechanlage bereits abgeschaltet.
Er drückte auf Julia Hamiltons Klingel. Über den Knöpfen waren keine Namen, sondern lediglich die Nummern der Apartments angebracht. Er wartete. Niemand meldete sich.
Er klingelte erneut. Nichts. Sie war nicht zu Hause. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Zwanzig vor zehn. So spät arbeitete sie sicher nicht mehr. Vermutlich hatte sie eine Verabredung, war mit dem Freund ins Kino gegangen. Heute abend konnte er nichts mehr ausrichten. Er mußte eine Gelegenheit abwarten, in der er sie allein antraf. Sein Auftrag lautete ein Mord, nicht zwei.
Er kehrte in sein Hotel zurück und setzte sich für eine Weile vor den Fernseher. Bevor er sich ins Bett legte, rief er noch seine Frau an. Er sagte ihr, daß er einen angenehmen Flug gehabt hätte, sie und die Kinder aber bereits vermissen würde. Er versprach, ihr etwas von dem englischen Kaschmir mitzubringen, den sie so mochte. Seinen Jungen würde er ein nettes Souvenir aussuchen.
»Ich liebe dich«, sagte er zum Abschied. »In ein paar Tagen bin ich zurück. Ich denke, daß sich die Geschäfte schnell erledigen lassen.« Nach dem Telefonat versank er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Evelyn Western stand am Fenster in der Bibliothek und beobachtete, wie Julia auf das Haus zufuhr. Sie hatte ihre Dinnerverabredung mit den Nachbarn abgesagt und versucht, ihren Mann in Rio de Janeiro zu erreichen. Er war jedoch auf einer Besprechung irgendwo im Stadtzentrum gewesen. Sie hatte betont, daß sie ihren Mann dringend sprechen müßte, woraufhin der Hotelangestellte versprochen hatte, Lord Western zu benachrichtigen. Dieser Besuch von Julia Hamilton verhieß nichts Gutes. Ihr aufdringliches, ja sogar aggressives Benehmen hatte Evelyn Western sofort mißtrauisch gemacht. Was immer sie entdeckt haben mochte, es mußte zu Billys Nachteil sein. Zu ihrer Erleichterung wurde in diesem Augenblick der Anruf aus Brasilien durchgestellt. Sie kam sofort zur Sache.
»Julia hat mich angerufen«, berichtete sie ihrem Mann. »Sie hat irgend etwas herausgefunden. Ich fürchte, nichts Gutes. Sie hat darauf bestanden, hierherzukommen, ich konnte sie nicht abwimmeln. Darling, ich will nicht den Teufel an die Wand malen. Aber wenn es das ist, woran ich denke, solltest du dich darauf einstellen, zurückzukommen … Ja, ja, natürlich rufe ich dich an, sobald sie gegangen ist. In Ordnung, mach dir keine Sorgen. Ich erledige das schon. Paß auf dich auf …« Ich erledige das. Ihr Versprechen hallte ihr in den Ohren nach.
Sie war immer mit allem fertig geworden, seit Beginn ihrer Ehe. Damals, als sie noch von ihren mageren Einkünften als Bibliothekarin gelebt hatten, während William seine ersten Schritte in das Unternehmertum gewagt hatte. Sie hatte alles mit ihm geteilt – seine Bemühungen, seine Rückschläge, seine Erfolge. Sie war seine Stütze, seine engste Vertraute. Und seine Geliebte. Auch nach all den Jahren noch, die sie zusammen verbracht hatten. Sie waren unzertrennlich. Dieses Mädchen hatte irgendwelche Einblicke gewonnen, die William schaden konnten. Evelyn war bereit, den Kampf gegen sie aufzunehmen.
Der Wagen hatte das Haus
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