Die Entlarvung
umgesehen und hin und her überlegt hatte – die Mitbringsel für seine Söhne. Um fünf Uhr rief er Julia von einer Telefonzelle aus an. Sie meldete sich nicht. Gegen sechs versuchte er es erneut. Keine Antwort. Bis elf Uhr nachts wählte er stündlich ihre Nummer – ohne Erfolg. Er gab auf. Wenn sie so spät nach Hause kam, würde er die Methode, mit der er in das Gebäude einzudringen gedachte, nicht mehr anwenden können.
Morgen war auch noch ein Tag.
»Entschuldigt, daß ich euch so überfallen habe«, sagte Julia. »Aber ich mußte einfach mit jemandem reden.«
»Da gibt es doch nichts zu entschuldigen«, meinte der Vater. »Wofür hat man schließlich eine Familie?«
»Ich bin so froh, daß ich euch habe«, gestand Julia.
»Aber warum nur?« warf May Hamilton ein. »Wieso hat er dich entlassen? Und daß du innerhalb eines Vormittags dein Büro räumen und deinen Dienstwagen zurückgeben mußtest … Hat man so etwas schon einmal gehört?«
»Innerhalb einer Stunde«, korrigierte Julia. »Über die Auflösung meines Vertrags werden wir natürlich noch verhandeln müssen … Ich denke, daß sie mir eine Abfindung zahlen werden. Es gab schließlich keinen triftigen Grund für die Kündigung. Meine Mitarbeiter haben die Welt nicht mehr verstanden, als ich sie heute morgen informiert habe. Jenny, meine Sekretärin, ist in Tränen ausgebrochen. Ich war richtig gerührt.«
»Ich dachte, solche Methoden gäbe es nur in Amerika«, entrüstete sich May.
»Amerikanische Verhältnisse herrschen hier doch schon seit langem«, bemerkte Hugh Hamilton. »Schlimm, was manche Leute sich heutzutage herausnehmen. Laß dich nicht übervorteilen, Juliette. Eine anständige Entschädigung ist das mindeste, was dir zusteht. Wenn du einen guten Anwalt benötigen solltest, sag mir nur Bescheid.«
»Laß nur, Daddy«, beschwichtigte Julia. »Falls es wirklich Probleme geben sollte, weiß ich, an wen ich mich wenden kann. Ich kenne einige Anwälte in London.«
»Du könntest Western verklagen«, rief May Hamilton. Sie war furchtbar aufgebracht über die Art, wie man mit ihrer Tochter umsprang. Wenn sie eines nicht vertragen konnte, war es Ungerechtigkeit. Erst jetzt wurde Julia bewußt, wem sie ihren ausgeprägten Sinn für Fairneß verdankte.
»Mum, ich will mir nicht noch mehr Schwierigkeiten aufladen. Western hat sicherlich selbst kein Interesse daran, sich mit mir anzulegen. Er wird mir eine angemessene Abfindung zahlen, und damit hat sich die Sache. Wie wäre es jetzt mit einer Tasse Tee? Ihr habt mir auch noch gar nicht erzählt, was es bei euch Neues gibt.«
Sie hatte ihren Eltern nichts von den eigentlichen Hintergründen ihrer Entlassung gesagt. Die Angelegenheit war viel zu kompliziert, als daß man sie auf die Schnelle hätte erklären können. Inhaltliche Divergenzen hatte sie vage als Grund genannt. Ihre Eltern schienen sich damit zufriedenzugeben. Sie wußten nicht, wie es in der Medienwelt zuging, ahnten nichts von dem Despotismus der großen Pressekönige. Zu ihrem Glück, dachte Julia. Ben dagegen würde sie die ganze Wahrheit irgendwann mitteilen müssen. Vielleicht heute abend, falls seine Tochter aus dem Krankenhaus entlassen war. Es war nicht nötig, daß er sich mit seiner Rückkehr nach London beeilte. Sollte ruhig jemand anders seine Sachen im Büro zusammenpacken und zu dem Apartment bringen. Wie typisch für Western, daß er Ben gleich mitbestraft hatte … Er brauchte sich nicht in Sicherheit zu wiegen, nur weil er Ben und sie gefeuert hatte. Sie würde ihre Arbeit zu Ende bringen. Die Welt sollte, erfahren, welches Ungeheuer sich hinter Harold King verbarg. Und nun, wo sie auf Lord William Western keine Rücksicht mehr nehmen mußte, würde es für sie vielleicht sogar leichter sein.
»Der Inspektor hätte es gern, wenn Sie zuerst mit den beiden sprechen würden. Die Mädchen kennen Sie, vielleicht erreichen Sie eher etwas bei ihnen.«
Ja, willigte Mandy Kent ein, versuchen könne sie es. Aber insgeheim bezweifelte sie, daß sich die Mädchen ihr gegenüber kooperativer zeigen würden. Sie beschloß, die beiden eine halbe Stunde vor Eintreffen der Mordkommission in ihrer neuen Unterkunft aufzusuchen. Sie wohnten jetzt bei einer Freundin und deren Partner auf der Brixton Road – einer Gegend, in der viele Farbige lebten.
Mandy legte ihre Uniform ab und zog sich neutrale Kleidung an. So wirkte sie weniger einschüchternd. Tracey, mit ihrem gebrochenen Kiefer und all den anderen
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