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Die Entlarvung

Titel: Die Entlarvung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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umkleiden. Wir treffen uns um Viertel vor acht im Salon. Baker wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Bis nachher also.«
    Der weitere Verlauf des Abends war Julia zum Teil nur undeutlich in Erinnerung geblieben. Ihre Mutter hatte im Detail wissen wollen, wie ihr Zimmer eingerichtet gewesen war. Aber Julia hatte nur eine grobe Beschreibung liefern können. Sie erinnerte sich an viel Chintz und helle Farben; und an ein elegantes Bad mit einer riesigen, runden Wanne. Aus Angst, unpünktlich zu erscheinen, hatte sie sie vor dem Essen nicht mehr ausprobiert. Aber später, nachdem sich alle auf die Zimmer zurückgezogen hatten, war sie in die Wanne geglitten und hatte über den Abend nachgedacht. Zwölf Personen hatten an dem Essen teilgenommen, davon drei Paare, eine junge Dame, zwei Herren, sie selbst und die Westerns. Evelyn Western machte sie zuerst mit den anderen Gästen bekannt und führte sie dann zu ihrem Mann. Julia kannte sein Gesicht von den Fotos, die ihr in der Presse oft begegnet waren. Es überraschte sie jedoch, daß er so schmächtig war. Seine Frau wirkte neben ihm wie eine elegante Giraffe. Julia selbst war ungefähr ein Meter fünfundsiebzig groß; William Chancellor Western aber reichte ihr gerade bis an die Stirn. Er hatte leicht ergrautes Haar, eine frische, glatte Haut und durchdringende stahlgraue Augen.
    Er wiederholte die Begrüßungsworte seiner Frau: »Wie schön, daß Sie kommen konnten. Ich erlaube mir, Sie Julia zu nennen. Hatten Sie eine angenehme Fahrt? Ich hoffe, die Wegbeschreibung war klar genug …«
    »Sie war perfekt, danke, Lord Western. Ich freue mich, daß ich heute hier sein darf. Was für ein wundervolles Haus Sie besitzen …« Sie sagte dies nicht nur aus Höflichkeit. Sie hatte noch nie einen so schönen Salon gesehen. Die Wände waren mit exquisitem Stuck verziert, von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter herab, der im Licht echter Kerzen erstrahlte. Und die Gemälde … Zu Julias Studienfächern hatte auch Kunstgeschichte gehört. Hier erblickte sie Bilder der berühmtesten Porträtmaler, angefangen bei einem riesigen Gruppenbild von Van Dyck bis hin zu der lieblichen Darstellung einer Mutter mit ihren Kindern und einem Spaniel von Raeburn. Western beobachtete sie, während sie sich umsah. »Sie mögen Bilder?« erkundigte er sich. Sie hatte kaum genickt, als er bereits fortfuhr: »Kennen Sie sich auf dem Gebiet aus?«
    »Ein wenig«, entgegnete Julia. Seine Art, Fragen zu stellen, ohne eine Antwort abzuwarten, verwirrte sie.
    »Sie haben Kunstgeschichte studiert, ich erinnere mich«, verkündete er. Sie war erstaunt, daß er so genau über sie informiert war.
    »Ich sehe mir die Leute ganz genau an, denen ich einen Job anbiete«, klärte er sie auf. »Es gibt viele, die einen guten Artikel schreiben können. Aber um einen guten Reporter abzugeben, benötigt man Intelligenz und Intuition. Sie sitzen übrigens neben Leo Derwent, dem jungen Mann dort drüben mit dem listigen Gesicht. Ein Politiker, sehr karrierebewußt. Schauen Sie einmal, was Sie von ihm halten. Nach dem Essen können Sie mir dann Ihre Meinung mitteilen.« Mit diesen Worten ließ er sie stehen und wandte sich anderen Gästen zu.
    Sprachlos starrte Julia hinter ihm her. Ihr Gesicht brannte vor Scham über die unhöfliche Art, mit der er sich ihrer soeben entledigt hatte. Und das inmitten von lauter Fremden. Sie solle keine Angst vor ihm haben, hatte ihr Evelyn Western geraten.
    Zum Teufel, so leicht würde sie sich wirklich nicht einschüchtern lassen, entschied Julia. Sie leerte das Glas Champagner, das ihr ein Butler gereicht hatte, und ging festen Schrittes zu dem Mann hinüber, dessen Gesicht durchaus treffend als listig bezeichnet worden war.
    »Ich glaube, wir sitzen nebeneinander«, begann sie. »Wir sind einander vorgestellt worden, aber Ihr Name ist mir entfallen. Ich bin Julia Hamilton.« Sie schenkte ihm ihr charmantestes Lächeln.
    Leo Derwent hatte noch nie von ihr gehört. Ihr Name stand nicht auf seiner Liste der Leute, die es wert waren, daß man sich mit ihnen umgab. Aber was für ein hübsches Gesicht sie hatte! Mit den großen dunklen Augen und den feurigen roten Haaren, die sich wie ein Heiligenschein um den Kopf legten. Wirklich ungewöhnlich.
    Und äußerst sexy. Wollte Western, der alte Fuchs, ihn etwa in Versuchung führen? Der gerissene Knabe hatte schon so manchen Politiker in die Tasche gesteckt. Ohne Zweifel wußte er von Leos Schwäche für attraktive junge Damen und für gewisse

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