Die Entlarvung
erkrankt ist und ihm all ihr Geld vermacht hat …«
»Du denkst also, daß sie tatsächlich tot ist?«
»Ja, aber ich würde sehr gerne einmal die Sterbeurkunde sehen.« Sie sah ihn an und wechselte plötzlich das Thema. »Das war ein nettes altes Ehepaar, nicht wahr? Soviel Zuneigung füreinander, nach all den Jahren … Daß es so etwas noch gibt.« Ben blieb stumm. Julia spürte, daß sie unabsichtlich bei ihm einen wunden Punkt getroffen hatte. Nach außen mimte er den harten Mann, unter der rauhen Schale jedoch war er verletzlich und litt an dem Schlag, den ihm das Scheitern seiner Ehe versetzt hatte.
Die junge Frau namens Minna nickte. »Er hat es gesagt«, wiederholte sie hartnäckig. »Er hat gesagt, daß sie etwas gefunden hätten.«
Er war über Mittag nach Hause gekommen und hatte Minna zu sich bestellt. Seine Frau hatte sie im Wohnzimmer allein gelassen. Sie kümmerte sich nie um die Aktivitäten ihres Mannes, soweit sie den Veteranenverein betrafen. Sie hoffte nur, daß die Familie nicht in Schwierigkeiten war. Aber selbst wenn, würde ihr Mann schon einen Ausweg wissen.
»Hast du die Namen?«
»Hier.« Minna reichte ihm ein Blatt Papier.
»Beschreib mir die Leute«, verlangte er.
»Der Mann ist ungefähr fünfzig, hat dunkle Haare, trägt eine Brille. Die Frau ist jünger als er. Sie hat auffallende rote Haare, sieht gut aus, ist teuer gekleidet.«
»Gut.« Er überflog die Notizen. Minna hatte alle Angaben von dem Besucherschein übertragen. »Sie sind im Nessenberghof abgestiegen«, murmelte er. »Das trifft sich günstig. Leni ist mit meiner Frau befreundet. Da kann ich sicher das Anmeldebuch einsehen. Danke dir, Minna. Stets wachsam.«
»Stets loyal«, vervollständigte sie das Motto des Vereins. »Ich muß los, sonst komme ich zu spät.«
Sie lächelte ihm zu – eine freundlich wirkende, attraktive junge Frau, die zwanzig Jahre nach Kriegsende geboren worden war. Sie hob die Hand zum verbotenen Gruß. Er erwiderte ihn langsam. Dann schloß sie die Tür hinter sich.
Julia legte den Hörer auf. »Sie müssen wohl alle noch einmal von vorne anfangen. Einen Hinweis hat es jedoch schon gegeben.« Sie runzelte die Stirn und betrachtete die Notizen, die sie sich in aller Eile auf einem Stück Papier gemacht hatte. »Neben dem Haus, in dem Phyllis mit King gelebt haben soll, wohnt ein älteres Ehepaar. Sie können sich daran erinnern, daß vor Jahren ein junger Mann mit einer wesentlich älteren Frau in das Nachbarhaus gezogen ist. Unser Team hat alles auf Band aufgenommen. Ben, am besten fliegen wir zurück. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.« Sie stand auf und reckte sich ein wenig. Bens Blick blieb an ihren vollen Brüsten hängen, während sie fortfuhr, sich zu strecken.
»Laß uns heute nacht noch hierbleiben«, schlug er vor. »Ich zeige dir München. Wir können dann morgen früh abfliegen.«
»In Ordnung. Eine gute Idee«, fand Julia. »Ich rufe an und reserviere uns einen Flug.«
»Ich erledige das schon«, verkündete er resolut. »Trinkst du Bier, J.?«
»Nicht, wenn es sich vermeiden läßt«, erwiderte sie lachend.
»Zu München gehört aber unbedingt ein Besuch in einem Bierkeller«, warnte er sie vor. »Bis gleich. Wir treffen uns um sechs.«
Der Abend wurde zu einem einzigartigen Erlebnis für Julia. München faszinierte sie nicht nur wegen seiner Bauten, sondern auch wegen der fröhlichen Atmosphäre, die sich bei Einbruch der Dunkelheit verbreitete. Die Geschäfte waren hell erleuchtet, die Cafés und Kneipen gefüllt mit unternehmungslustigen Menschen, die das Nachtleben in vollen Zügen genossen. Julia war erstaunt, wie viele Münchner eher dunkle Haare und dunkle Augen besaßen – ganz und gar nicht dem arischen Ideal entsprechend, das hier vor über einem halben Jahrhundert zum Maßstab aller Dinge erklärt worden war. Ben führte sie – wie angekündigt – in einen Bierkeller. In dem Lokal war es heiß, laut und rauchig, die gute Laune der Leute ringsum jedoch wirkte ansteckend. Eine Gruppe an einem benachbarten Tisch begann zu singen, woraufhin es nicht lange dauerte, bis die übrigen Besucher in das Lied einfielen und dazu mit ihren Bierseideln auf die Tische klopften.
»Der helle Wahnsinn«, rief Julia begeistert. »Ich komme mir vor wie in einem Hollywood-Schinken. Die Leute wissen, wie man sich amüsiert.«
»Wir sind einmal mit den Kindern auf dem Oktoberfest gewesen«, erzählte Ben. »Sie waren hingerissen von all der Ausgelassenheit,
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